Pause RIP MD
Ich benötige eine Pause – Freund von mir hat sich erhängt und wurde gestern beigesetzt – mir reicht es erstmal mit Schneller Höher Weiter – wenn dem erst der Dachbalken folgt – 17.09.2022

Text vom 19.08.2022:
Es ist alles nicht, wie du denkst, es ist schlimmer – drei Tote in einer Woche – das macht nachdenklich, aber was heißt schon nachdenklich, wenn dies Nachdenken ein paar Tage anhält und dann wie Dolphys Saxophontöne im All verdunstet
Die Nachbarin habe sich am Fensterkreuz aufgehängt. Ein berühmter Maler, den wir mehr als einmal in seinem Atelier besuchten, ist an Herzversagen verstorben nach einer Covid-Erkrankung, und nun … Freund Alter Schwede nimmt sich ebenfalls das Leben.
Es ist schlimmer als du denkst, ich könnte einen längeren Brief schreiben an seine Frau, sie aber würde durch ihre Tränen hindurch nichts davon an sich ranlassen wollen, es war furchtbarer als sie weiß. Ich könnte stundenlang den Wind anschreien. Ich könnte allen im Netz erklären wollen, welch Heuchler sie sind. Ich könnte betrauern, dass ich mich selbst anklage.
Es war noch schlimmer. Nachdem nun beide Freunde weg sind, sitze ich vor einem Roman, der noch geschrieben werden will. Ich kann die Jahre schon nicht mehr zählen oder voneinander unterscheiden, in denen sie nacheinander von mir gegangen sind, und langsam aber sicher fühle ich mich unverschämt sein, da ich noch hier bin. Der alte Schwede aus dem Amerikanischen Idyll dürfte auch längst tot sein – der aus dem Roman. Der vor diesem Papier werde wohl ich. Und erläutere das auch so: Ich habe Schwedengröße mit meinen über 190 und ertrage die Atmosphäre nicht.
Was ich als Scherz formuliere. Und weiß einmal mehr: ich darf noch immer nicht in der ersten Person von mir sprechen, denn langsam aber sicher kommen sie mir auf die Schliche. Der ich hier als Letzter Schwede in Erscheinung trete und morgen der ersten von drei Beisetzungen fern bleiben werde.

Sie sprechen nicht mit mir, sie sprachen nie mit mir, sie blufften mich an, sie blöfften und als sie nicht mehr waren, fühlte ich mich weich werden zu ihren Gunsten.
Es war gewiss anders als du denkst. Ich der Vasall ihrer Provinz. Wenn du plötzlich verstehst, dass du ihr Werkzeug warst, und sie ihre Reue nicht dir gegenüber äußerten, sondern ihren Geschäftspartnern ins Gesicht hinein versprachen, ein weiteres Unglück heraufzubeschwören.
[Details hierzu im Roman – es in dieser Phase der Trauer oder Zerrüttung zu bringen, würde nicht nur meine Schamgefühle verletzen – ]Für das Internet wäre es natürlich jetzt genau das richtige Dessert, eine Vorspeise zu einer längeren Serie, so wie alles sich inzwischen einbauen lässt in längere Serien, dazu aber fehlt mir die Zeit und schaut euch die schon abgedrehten Serien noch einmal an. Ozark, Better Call Saul – das sind schon die beiden Königsinstanzen in diesem Genre – Punkt.
Ich hole meinen Lieblings Van Der Heijden und zitiere [der erste Satz muss sitzen]
Toooooooooooooooo-niii-ioooooooooooooo!
Nie habe ich seinen Namen häufiger gerufen als in den knapp vier Monaten seit dem Schwarzen Pfingstsonntag.
A.F.Th. van der Heijden, Tonio erster Satz 2011
Die Nachbarin hat sich am Fensterkreuz ihrer Wohnung über dem Restaurant aufgehängt, die Nachbarin, die mit mir im Hof stand und die während eines Sturms vom Dach gefallenen Ziegel wegräumte und mich auf ihre eigenwillige Art anfasste und sagte: wenn wir uns darum nicht kümmern, wer dann? Die gleiche Nachbarin, die mich in ihre Wohnung ließ, als es darum ging, Busse vor ihrem Fenster zu vertreiben. Die gleiche Nachbarin, die in ihrem roten Fiat wirkte wie eine Großform in zu engpressendem Aluminiumgehäuse. Die Nachbarin, die jedes Mal mit einem anderen Liebhaber in Erscheinung trat, wenn ich sie zu sehen bekam. Am Fensterkreuz. Mit viel Polizeiabsperrung und. Nichts und.
Ich zähle die Gelder. Und komme auf Summen jenseits der Millionengrenze. Warts ab, in zwei Jahren bin ich Millionär, beteuerte Robert bei jeder Gelegenheit. Dass er damit seine Schuldenmillionen meinte, verriet er wohlweißlich nicht. Wir sehen die Millionen und ahnen es. Die Pleitegeier sitzen in den Bäumen und beäugen die Filetstücke.
Es war schlimmer als du denkst. Noch schlimmer. Und ich mittendrin. Wer ohne Schuld ist, werde zu Stein. Und. Was und?
Ich bringe Tonio an seinen Platz zurück und zitiere [der erste Satz muss sitzen]:
Es gab keinen Pardon, Punkt Mittag hatte das Sonntagsessen fertig zu sein.
Peter Nadas Aufleuchtende Details erster Satz 2017
Im Hintergrund weitere Buchempfehlungen, ich rufe: ihr seid Scharlatane, postmoderne Wortverdreher und ich wünsche euch zum Aperitif zutreffende Adjektivinjektionen. Die Serienfolge meiner Bücher könnte von Adjektivexplosionen berichten, von schwindelerregender Literaturverzweiflung, von millionenschweren Feldwiesen, vom Abstrusen im Suchen nach Katalog und Fadenbindung, du hast nur im Kopf: das Schreiben ist Briefe verfassen für mehr als einen Adressaten. Mehr nicht. Wer darin mehr sieht, betrügt sich selbst.
Ich habe hier ein Buch herumstehen, ich zitiere [der erste Satz muss sitzen]:
Das Bild des Todes, das wir als Ausgangspunkt unserer Analysen wählen, ist das des frühen Mittelalters – grob vereinfacht: der Tod Rolands.
Philippe Aries, Geschichte des Todes, erster Satz 1982
Du schlägst die Hände über dem Kopf zusammen, draußen werden Grundstücke und Schulden zu den Grundstücken neu aufgeteilt, es werden Bibliotheken aufgelöst, Fenster ausgetauscht, die Wohnung neu bezogen von einem netten Pärchen, die Granateneinschläge kommen näher, ich, der letzte Schwede, bin auch bald dran, und du willst wissen, wie es mir geht? Es war schlimm. Ja, nicht ganz so schlimm wie du denkst, viel schlimmer.
Die Geschichten laufen auseinander, und wenn einmal alles einer inneren Logik, Substanz oder Konzeption folgen sollte, so waren die mit dem losen Mundwerk, der dicken Lippe und den : man darf es auch so sagen: Visionen, Träumen und Utopien solange im Vorteil, wie sie nicht von ihren Geldgebern daran erinnert wurden, dass es auch einen realen Zins gibt auf Visionen.
Ich suche in meinen Büchern Elias Canetti Über den Tod. Und finde ihn nicht. Ich gebe es auf und beschwere mich. Unter stickiger Sommerluft. Den kältesten Winter erlebte ich in einem Sommer in San Franzisko (Mark Twain).
Noch schweben die mir entfremdeten Seelen durch den Raum. Zum Greifen nah. Dem Gespräch entrückt. Mein Gewissen pocht mir an die Schläfe. Ich hätte mich mehr kümmern sollen. Bei der Gemengelage. Da sich jeder selbst der Nächste war. Und es nur darum ging, wer wem zum Vorteil wird. Als Robert und Ludger sich Stirn und Stirn gegenüberstanden und wie zwei Figuren aus einem Comic einander anprusteten, anplärrten und aufeinander einschlugen. Das wars.
Als Ausschnitt dieser todbringenden Neidgesellschaft.
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