Jazz Albums 2012
Jazz Albums 2012
Das Ohr folgt den Melodien, es will harmonische Einheiten, Wiedererkennbarkeit und etwas fürs Herz vielleicht, der Bauch ist ein eigen Verwertungsmodul des Körpers, der sich vom Klangkörper insofern nicht unterscheidet, als er ebenfalls fortwährend atmet und auf Luftzufuhr aus ist.
In diesem Jahr 2012 trennte sich Spreu von Weizen, wobei ich die Spreu sein sollte und die mich von sich trennten, gingen noch immer davon aus, sie seien die Elite, besonnen und verantwortungsvoll, und da sie mich nicht mehr als zugehörig bezeichneten, entschied ich einmal mehr, mich von allen und allem zurückzuziehen, mich zu sammeln und zu norden, das bedeutete: in den Süden zu fahren, nach San Sebastian zum Jazzfestival Jazzaldia – dort Melody Gardot neben Nils Petter Molvaer und Joey deFrancesco und Neney Cherry in Erscheinung traten und ich wieder die Straßen rauf und runter zog in Berlin mit Knopf im Ohr – Sophie Hunger neben John Surman und den Tindersticks, nacheinander holte ich sie mir zurück, die, die ich über die letzten zwölf Jahre so sehr vernachlässigt hatte in meinem Fiebertraum beim Netzwerken und dem Hausmeisterleben, das ich in ihrem Keller gelebt hatte
– was die anderen hörten, wusste ich nicht. Radiohead, hatte ich gehört, hörten sie. Auf Partys hörte ich, sie hörten The Clash oder Easy Listening – Ambient oder Wohlfühlmusik, von Vivaldi bis Brahms – dass jemand von ihnen Jazz hörte, kam mir nicht unter. Ich aber, und tastete mich an die Jazzenden heran: ganz ohne Kompass. Dass in Berlin eine weit über die Grenzen der Stadt hinaus wirkende Jazzszene aktiv war – davon wusste ich nichts. Erinnerte mich an die einschlägigen Clubs, die in jedem Stadtführer einsehbaren von A wie A-Trane bis Z wie Zig Zag – die dort auftraten, waren mir bis auf wenige Ausnahmen, nicht geläufig.
LESS IS MORE or NOMORE ANYMORE
Wie wäre es mit einer Unterabteilung der Abteilungen?
Du siehst, es handelt sich um Blockbuster Jazz, sehr bekannte bis berühmte Namen, auch das Festival in San Sebastian lebt seit Jahren von der Einladung großer Namen. Am Strand, umsonst und draußen, spielt man für die Jugend. Die, die es sich leisten können, gehen in den Kursaal oder in die Altstadt zur De La Trinidad Plaza, zum Theater Victoria Eugenia Antzokia und blicken in die unmittelbaren Erfolgsgeschichten durchweg bekannter Zuschreibung: Al Di Meola, Melody Gardot und Neneh Cherry, oder Robben Ford und Joey De Francesco oder Miles Smiles waren in 2012 auf den Bühnen. Es muss und kann nicht alles gleich Avantgarde sein oder so ambitioniert, dass es nur ganz Ambitionierte verfolgen.
Jazz Albums 2012 Ambitionen
Andererseits: es geht beim Hören der vielen neuen Namen häufig auch her wie schon längst gehört, gleich auch: es wird nicht einfach, den Unterschied zu hören oder zu verstehen. Vieles ergeht sich in Virtuosität, in Hochleistungsjazz, in höchstem Tempo gehen alle Bezüge verloren und bestenfalls erinnerst du dich daran, dass es das auch schon in den Siebzigern oder Achtzigern gab und es nur wenige sind, die Unterscheidungsmerkmale hören, der Vorwurf, Jazz sei Musik für Musizierende, steht schön länger, allein, es hilft nicht das festzustellen, die Freiheit im Jazz nämlich, von der zu hören und zu lesen ist, beinhaltet ebenso, dass es Fortschritt nicht ohne Wiederholungen gibt des Bekannten, und wenn das Bekannte erst Plattitüde oder Klischee geworden ist, findet es trotzdem statt, oder hörst du noch den Unterschied zwischen X und Y und Zett. Vielleicht hörst du ihn auch weniger, als du ihn siehst: im unverwechselbaren Album Cover.
Album Painted Trios.
Leicht Bekömmliches. Tee-Time-Jazz. Kaffeeklatsch. Feierabendromanzen. Tanzmusik. Gerade auch wieder gehört: das vielleicht zweihundertse Klaviertrio. Nun hör den Unterschied von Moll zu Moll oder Dmaj7 zu Dmaj7, im Anschlag, im Ausgang, im Hingehauchten wie Niedergelegten oder Geprasselten oder Nuancierten, das Hammerklavier nochmal oder das Grandpiano (der Konzertflügel), die Möglichkeiten der Besetzung eines Trios an sich. Der redundante Sound, das Arpeggienspiel, die Wiederkehrschleife über dem C, dem D, dem F, dem G – und wer ist nicht erstaunt, was und wie es sich vor Jahren spielte, so, als sei es jemand anderes gewesen, der gleiche Schubert sich anhört wie ein anderer, der gleiche Philip Glass wie ein anderer Philip. Die Miniatur war eine große Erzählung. Die große Erzählung eine Miniatur. Ein Libretto (Text einer Oper) etwas anderes ist als ein Liberetto (Album von Lars Daniellsson).
Der Unterschied manifestiert sich häufig und nicht zuletzt in Namen, Name-Dropping im Jazz eines der Lieblingsspiele – wer so ein schlechtes Namensgedächtrnis hat wie ich, scheint prädestiniert, sich gleich um andere Disziplinen zu kümmen: Kegeln, Schachspielen oder Fingerschnippen.
gleichauch: personifizierst du zu sehr, gleicht das Spiel eher einem Gottesdienst als einem säkularen (zeitimmanentem und realem) Ereignis
+++ Jazzplatten 2012 – Jazz 2012 – Jazzalben 2012 +++
Und würde bald zur Kenntnis nehmen: Begeisterung für die Sache allein zählt so wenig wie technische Finesse oder Fähigkeit, nicht umsonst heißt es, sollten da welche Ambitionen haben, müssen sie erst aufgebaut werden, was bedeutet: vorsichtig herangeführt und ans Publikum gewöhnt – das allerdings, wissen wir auch, ist nicht leicht zu erreichen, schau dir deinen eigenen Arbeitstag an, schau, wie viel Zeit du hast, dich außerhalb der Arbeitszeit um Musik zu kümmern – schau dich an im Spiegel und frage dich: wie konntest du das, was dir so viel Freude bereitet hat, damals, derart vernachlässigen? Umgekehrt: sich der Sache im Jazz anzunehmen, bedeutet eben nicht, dass er dir nur so entgegenfliegt oder entgegenkommt, das bedeutet nicht selten eben auch: sehr viel Zeit mitzubringen und zu investieren, um dich einigermaßen im Dschungel der Musik zurechtzufinden. Auch Zuhören will geübt sein.