Ignaz Schick / Christian Kühn / Joe Hertenstein Live at Terzo Mondo (Zarek, 2024)
Free Jazz im Terzo Mondo
veröffentlicht am 4. August 2025
Ignaz Schick alto & baritone saxophone Christian Kühn electric guitar Joe Hertenstein drums
Recorded live at Terzo Mondo Berlin 30.07.2024 by Ignaz Schick Mixed & mastered by Werner Dafeldecker August 2025 Cover design by Ignaz Schick August 2025 Copyrighy by the artists 2025
Der Applaus sei das Brot der Künstler. Ein Abend vor gut einem Jahr in der Gormanstraße, per S-Bahn erreichbar, Nähe Savigny. Die Studienzeit, keine vier Straßenzüge weiter ums Eck, kehrt quasi über die Dächer zurück, ein amerikanischer Schlitten legt sich breit und grimmig über zwei Stellplätze, irgendwas zwischen vierzehn Zylinder und 30 Litern Verbrauch. Der Abendhimmel im Silberglanz, wir hier dagegen auf einem Konzert für fünf zahlende Gäste im Terzo Mondo. Ein Ort mit weitläufigem Restaurant, geschaffen für solche Konzerte, die den Feierabend Charlottenburgs durchbrechen – und nachhallen.
Ignaz Schick, Christian Kühn und Joe Hertenstein begannen nicht leise, es ging gleich in die Vollen, erstmal sperrig und kraftvoll, die drei kennen sich, die vier hinter mir kennen sich und ich, der sie zum ersten Mal in dieser Konstellation sieht und hört, stelle fest: es wird sich nicht angebiedert, es werden keine formalen Gesten strapaziert, es geht zur Sache. Der Feierabend wird auf später verschoben, es wird weiter gearbeitet für dieses eine Brötchen. Ich fürchtete noch, das bleibt jetzt so, und all das unterliegt einmal mehr dem Gewöhnungsprozess und wird zu einem der Abende, die kaum Wirkung hinterlassen, da alles gleich verfliegt, nichts bleibt haften, alles das geschieht nur fürs Jetzt. Im Terzo, im Trio, im Diffusen, im Undurchdringlichen. Im Geräuschebeladenen. Für Profis. Dachte es, hörte es und wartete ab.
Zehn Minuten, zwölf, fünfzehn, wieder die Gewöhnung an etwas, was außerhalb deiner stattfindet. Gehört hast du, dass es um Positionierung zueinander gehen könnte, zum Abgleich der energetischen Felder untereinander. Der Raum, der Klang, das Hören. Musik braucht Form – nicht Melodie oder Rhythmus, sie soll in Beziehung setzen zwischen ihnen oder denen, die sich kennen und schon einige Male auf der Bühne standen in dieser Formation: Zwischen ihnen knirscht und knarzt es, also knirscht und knarzt es, es knistert, es staubt, es ruckt und zuckt, wer wen mitzieht oder umstimmt – schwer auszumachen.
Von Joe Hertenstein weiß man seine Präzision, seine Ausdauer, seine treibende Lust am Spiel, von Christian Kühn weiß man seine Umtriebigkeit, seine Lust am Karneval. Von Ignaz Schick weiß man, dass er vielseitig unterwegs ist, hier mit Saxophon, dort mit den Turntables.
Seit kurzem ist dieser Auftritt als Mitschnitt erhältlich. Wer dort war und das jetzt hört, denkt vielleicht: das also sind die Zeiten zwischen der Zeit. Oder der Zwischenraum zwischen Vergangenheit und Wiederbelebung. Zwischen Livehaftigem im Raum und dem Livehaftigen auf Tonträger erscheinen so gehört unterschiedliche Welten zu liegen, ebenso verblüffend. So klingt der Unterschied zwischen Heute und Gestern. Wo alles Tonale im All laut Eric Dolphy verschwindet. Von Ignaz Schick wissen wir, dass er viel von John Zorn gehört hat.
So also klang das. So also klingt es heute. Entweder täuscht mich mein Gedächtnis – aber wenn das der Mitschnitt ist vom Konzert, muss es das gleiche Konzert gewesen sein.
Die Bandcamp-Veröffentlichung, erschienen rund ein Jahr später, ist scharf, präsent, klanglich erstaunlich präzise. Es ist keine glatte Liveaufnahme, aber eine, die Nähe herstellt: zur musikalischen Geste, zur Absicht, zur Spannung. Der perkussive Puls von Hertenstein, die gezogenen Linien von Kühn, das feinstoffliche Spiel von Schick – alles bekommt Kontur. Alles wirkt plötzlich größer als der Raum, in dem es entstand.
Etwas Unmittelbares und Direktes. Eingefangen zwischen Tischgesprächen, im Halbdunkel vor dem Terzo Mondo und besprochen unmittelbar nach dem Konzert. Ein Abend, der schon so in Erinnerung blieb, und jetzt – im Nachhören – klar und deutlich hervortritt. Mit den besten Empfehlungen.
Ignaz Schick spielt sowohl Altsaxophon als auch Baritonsaxophon. Das wird unter anderem bestätigt in der Besetzung des Albums The Cliffhanger Session (Aufnahmen aus April 2023, veröffentlicht 2024): Dort wird Ignaz Schick sowohl mit Altsaxophon als auch Baritonsaxophon geführt
Christian Achim Kühn, Berliner Fusion- und Jazzrock‑Gitarriste und Bandleader von KUHN FU. spielt eine rote Fender Telecaster, die laut eigenen Angaben sein ständiger Begleiter ist
Joe Hertenstein am Schlagzeug – mit Sonor Smart Force Drums, Evans Bass-Drum-Fell und jazztypischen Bosphorus-Becken. Sein Spiel zwischen Struktur und Chaos passt perfekt zur energiegeladenen Freiform des Abends.
English
They say that applause is an artist’s bread and butter. One evening a little over a year ago on Gormanstraße, accessible by S-Bahn, near Savigny. My student days, less than four blocks away, return as if over the rooftops, an American car sprawls grimly across two parking spaces, something between fourteen cylinders and 30 liters of fuel consumption. The evening sky glistening silver, we here, on the other hand, at a concert that barely pays for a sandwich—five paying guests at Terzo Mondo. A place with a spacious restaurant, created for concerts like this, which break through the end of the working day in Charlottenburg and linger on.
Ignaz Schick, Christian Kühn, and Joe Hertenstein didn’t start quietly; they went full throttle right away, initially bulky and powerful. The three know each other, the four behind me know each other, and I, seeing and hearing them in this constellation for the first time, realize: there is no pandering here, no strained formal gestures, they get right down to business. The end of the working day is postponed until later; now they continue to work for that one roll. I feared that it would stay that way, and that once again it would all be subject to the process of habituation and would once again become an evening that leaves no impression, because it all evaporates immediately, nothing sticks, it all happens only now, for the present moment. Jazz in the Terzo, in the Trio, in the Diffuse, in the Impenetrable. Noise-laden. For professionals. I thought it, heard it, and waited for it.
Ten minutes, twelve, fifteen, getting used to something happening outside of you again. You are not part of it, never were part of it, never will be, but you have heard that it could be about their positioning in relation to each other, about balancing their energy fields. The space, the sound, my hearing. Music needs form—not in melody or rhythm, but in the relationship between them, three who know each other and have already performed together on stage several times in this formation. You can imagine it: there is creaking and crunching between them, so it creaks and crunches, crackles, dusts, jerks and twitches, who of the three pulled whom along or changed their mind or pulled away – difficult to tell.
Joe Hertenstein is known for his precision, his endurance, his patience, his driving desire to play; Christian Kühn is known for his restlessness, his love of carnival and slapstick. Ignaz Schick is known for being versatile, here with the saxophone, there with the turntables.
This performance has recently been released as a recording. Those who were there and now listen to it may think that these are the times between times. Or the space between the past and revival. Seen in this light, the live experience in the room and the live experience on the recording appear to be very different worlds, equally astonishing. This is how the difference between today and yesterday sounds. Where, according to Eric Dolphy, everything tonal disappears into space. We know that Ignaz Schick listened to a lot of John Zorn.
So that’s how it sounded. That’s how it sounds today. Either my memory is deceiving me – if this is the recording from the concert, it must have been the same concert.
The Bandcamp release, which came out about a year later, is sharp, present, and astonishingly precise in terms of sound. It’s not a smooth live recording, but one that creates closeness: to the musical gesture, to the intention, to the tension. Hertenstein’s percussive pulse, Kühn’s drawn lines, Schick’s subtle playing – everything takes shape. Everything suddenly seems bigger than the room in which it was created.
Something immediate and direct. Captured between table conversations, in the semi-darkness in front of Terzo Mondo, and discussed immediately after the concert. An evening that already remained in my memory, and now—upon listening back—stands out clearly and distinctly. With the best recommendations.