Jazz Albums 2009
Jazz Albums 2009
Wir kommen in einen Bereich, da ich mich gar nicht mehr auskenne, die Jahre gehen ins Land und die Tage auch, irgendwo zwischen Mai und September, der Sommer ruft, der Winter folgt, im Kanditatenkarussell unter den Kunden erzielen die mit der kleinen Budgetierung und den wenigen Leuten, die sie bezahlen können, private Meinungsverschiedenheiten, die sich direkt am Schreibtisch in kleinbürgerliche Ausrufe ergehen, man hört so Dinge wie Du Hund, Anton wie A… und Bertha wie Boden der Tatsachen, man hört so einiges Glas vom Tresen fallen. Die Rivalen stehen sich auf der Party Stirn an Stirn gegenüber, reiben sich die Köpfe Stirn an Stirn, wären ihre Frauen nicht dazwischen gegangen, sie hätten sich die Nasen blutig geschlagen, es sind Schuldschreiben angesprochen worden, das liebe Geld wieder, der Anton behauptet, geborener Büroleiter zu sein, der Hund heißt Boxer und Werner sitzt seinem Einmannbüro als Vorstand vor, während der zweite hier, der Ludger, behauptet, Schulden seien das neue Eigenkapital, wo bleibt die Musik, leg mal was Gescheites auf, nicht diesen öden Sound. Bitte keinen Jazz, wir wollen tanzen. Was war 2009 gleich der große Hit – bitte nicht wieder das Zeug, das ich vom Friseur schon kenne – was die Musik angeht, kann ich verraten, sind wir sowas von weg vom Fenster – all dieses K West und Jay Z und Lady Gaga Gedöns – ich finde nichts, was mich anspringt. Der Ludger aber. Der hat den Verve von Jojo Mayer getroffen, von seiner letzten Norwegenreise brachte er Kings of Convenience mit, zwei Jungs wie romantisch am Fjord so ähnlich.
Die Jungs hier erklärten sich kurzerhand zur Elite mit Bechs Bier und Salzstange in der Hand, sie sprachen vom Gewichtsverlust der Politischen im Zuge der technologischen Revolution, die uns aus Kalifornien heraus droht – die kaufen alles, und wir stehen mit leeren Händen da, sagte Ludger, da kam Anton und fing jenes unsägliche Gezetere an vonwegen Chancen die sich auftun und wir gucken nur hinterher, solange wir hinterhergucken, guck nach vorne, Mann! Wir können nicht zurück auf die Bäume. So gingen sie aufeinander los, die Musik wurde lauter – weiß nicht mehr, was sie hörten. Rap wars nicht, Jazz schon gar nicht, Techno und House waren sowas von Vorgestern, es könnte Phantogram gewesen sein, wer von denen aber, die sich selbst Elite nannten, bringt schon Phantogram mit? Der Anton jedenfalls kippte dem anderen Schneidbrenner, was die Worte an ging, dem Thomas oder Ludwig oder Matthias, Rotwein auf seine CD-Sammlung, da war gleich auch ein roter Weinklecks an der Wand des frisch gemalten Wohnzimmers dieser selbsternannten Elite dort oben im Prenzlauer Berg gegenüber der Kirche, wo sie früher noch revolutionär waren im Sinn der Widerständigkeit und der Antiposition zum Guten. Naja, Popmusik halt. Bloß kein Jazz, auch nicht diesen Popjazz – einzig Norah Jones vielleicht … sie galt als arriviert und etabliert, machte Pop Musik, die Distanzen zwischen Mainstream und Außergewöhnlichem lassen sich nicht vermessen, zwischen plastischer Chirurgie und Plastikmucke passen bestenfalls ein paar Videoclips von Eminem oder Madonna – der Zug ist weg – sowas von. Nach der Party einmal mehr bestätigt. Da hilft kein Cozy Jazz, kein Jazzmood, kein Chillout Jazz, keine Relaxing Music. Da hilft nur: Weitersuchen.
Wir sind die Elite, wer sonst – und: Berlin ist die einzige Stadt weltweit, die sich so eine Boheme wie unsere noch leisten kann. Woher die Zitate stammen, wird selbstredend nicht kundgetan. Ziehe ich meine Lieblinge Philip Roth und Peter Nadas zu Rate, scheinen auch sie nicht dafür verantwortlich zu sein. Ihre Kreise sind denn auch literarische und weniger soziologische, die Soziologen mit den Psychologen sich für eine gewaltfreie Sprache engagieren und dabei verkennen, dass so Typen wie Ludger und Werner Robert Matthias und meine Wenigkeit noch immer frei umhertrollen und anderen die Geldtaschen leersaufen. Der Robert nämlich von allen Geld pumpt, das er im Lauf der Jahre als Schuldschreiben mit unter die Erde nimmt. Schulden sind das neue Kapital, merk dir das! Dem folgt gleich auch die fulminante Griechenlandkrise, die, so Ludger, von denen dort in Übersee inszeniert wurde, um von ihrer noch kolossaler überschuldeten AIG abzulenken, der Ludger. Jede Sonnenbrandblase ist ihm Spekulations- wie Verschwörungsmasse.
Taugt die Musik nichts, schwindet die Lust an der Party. Nach Mitternacht dann, schon seit Jahren, Stereo MC und Tom Jones, alles tobt, sie liegen sich in den Armen, Zeit zu gehen. Erzähl denen mal, ihre Musik taugt nichts, da du so Sachen wie David S. Ware hörst oder Tyshwan Sorey, das folgt einem Asberger-Autisten-Ruf, würden sie antworten, und du müsstest einmal mehr begründen, warum du dir das überhaupt noch antust. Weiß ich auch nicht. Einmal glaubte ich, das öle nicht nicht nur die Gehörgänge, sondern auch die dem Ohr angeschlossenen Gehirngänge, wer Jazz hört, denkt schneller und plötzlicher, glaubte ich einmal, bis ich auf Paul Weniger stieß, bei dem das Hören von Jazz offenbar genau das Gegenteil bewirkte. Er sprach Sätze, die offenbar nie enden wollten, nicht weil sie mit Sätzen von Thomas Mann oder Thomas Bernhard wetteiferten, er stieß sie wie in Zeitlupe aus, mit Luftholen, mit Luftanhalten und mit Akzenturierung auf dem E von Tresen oder Welten – so langatmig ungefähr wie Bohren & der Club of Gore. Jazz im Rückwärtstempo vor der Zeitrechnung.
Sprechen wie, spielen wie, das R rollen wie, sich vor die Stirn klopfen wie, die Finger schnippen wie, Pfeifen wie, dribbeln wie, Solo spielen. Sich Krankheiten andichten wie, Hausaufgaben machen wie, schreiben wie, malen wie, gehen wie, sich auf die Schulter klopfen wie, sich aufblähen wie, ins Konzert gehen. Den Kaffee schlürfen wie, assoziieren wie, umlernen wie, gewaltfrei sprechen wie, aufstehen wie, aufgehen wie, untergehen wie, ausschlafen wie und das Haus verlassen. Eintagsfliegen, One-Click-Wonder. Nie wieder etwas gehört. Swingen wie. Tanzen wie. Die Combo wie. Autofahren wie. Sich anhören wie. Klimpern wie. Beziehungen pflegen wie. Ablachen.