Tobias Hoffmann – INNUENDO
Tobias Hoffmann – INNUENDO
Robert Unterköfler – Saxophone | Patrick Dunst – Saxophone | Martin Harms – Saxophone | Florian Trübsbach – Saxophone | Simon Harrer – Trombone | Robert Bachner – Trombone | Daniel Holzleitner – Trombone | Johannes Oppel – Trombone | Maximilian Seibert – Trumpet | Gerhard Ornig – Trumpet | Jakob Helling – Trumpet | Florian Menzel – Trumpet | Sebastian Burneci – Trumpet
Vilkka Wahl – Guitar | Viola Hammer – Piano
Ivar Roban Krizic – Bass | Reinhold Schmölzer – Drums & Electronics
tobiashoffmannmusic.com
release 20.09.2024 | Mons Records
Mit „Innuendo“ hat Tobias Hoffmann einen atemberaubenden Nachfolger zu seinem 2022 erschienenen Album „Conspiracy“ vorgelegt. Vom dynamischen Titeltrack, einer Hommage an Queen, über das zutiefst persönliche „Sanctuary“ bis hin zur bahnbrechenden Erkundung der durchkomponierten Form in „Perseverance“ zeigt dieses Album Hoffmanns bemerkenswerte Entwicklung als Komponist und Arrangeur. Seine geschickte Vermischung von Jazz mit Einflüssen wie Klassik, Rock und Minimalismus ergibt ein aufregend eklektisches und doch kohärentes Hörerlebnis. Unterstützt von einem herausragenden Ensemble voller virtuoser Solisten festigt „Innuendo“ Hoffmanns Ruf als eine der aufregendsten kreativen Stimmen im zeitgenössischen Großensemble-Jazz. Liner Notes
Bekannt sind die Big Bands der Rundfunkanstalten WDR SWR NDR HR, die regelmäßig mit Tonträgern in Erscheinung treten, geläufig sind die Namen Peter Herbolzheimer, Max Reger, Hugo Strasser oder Günter Noris, wenn es um Big Band Sound, oder Tanzorchestermusik geht im deutschsprachigen Raum.
Bekannt sind inzwischen die Hans Anselm Big Band oder die Jazzrausch Bigband, und wenn wir nur auf Berlin schauen, kommen wir auf die Big Band der Deutschen Oper Berlin oder auf das Composers Orchestra Berlin oder die Berlin Jazz Composers, bis hin zur Funky Big Band Berlin, eine Big Band bestehend aus Freizeitmusizierenden – für Geschichtsbewusste vielleicht noch interessant: der Hinweis auf die sogenannte Mr.Gobbels Jazz Band, bekannt als Charlie and his Orchestra.
Ebenfalls aus der Geschichte: die Big Bands der DDR und der BRD als Rundfunk Tanzorchester mit leicht zugänglichen Melodienfolgen, die immer auch ohrwurmverdächtig entlang der Schlagertradition spielten mit Schwepunkt auf synchron entwickelte leichte Muse für beschwingte Tage.
Tatsächlich ist die Bigband eine in den USA der Zwanziger Jahre aufkommende Formation, hervorgegangen aus überwiegend Marschmusik auf Straßen spielenden Blaskapellen, die erste Bigband soll 1923 von Fletscher Henderson gegründet sein und nannte sich Rosland Ballroom Orchestra. Nachzulesen als PDF:
Gemeinsam mit seinem Arrangeur Don Redman beginnt er (Fletscher Henderson), die Blasinstrumente im Orchester zu »Sätzen« zusammenzufassen. Er bildet einen Trompeten- und einen Posaunensatz, einen Saxophon- und Klarinettensatz und arrangiert seine Musikstücke so, dass diese Sätze jeweils eine Einheit bildeten. Damit schafft er eine ganz neue ArrangierTechnik
Louis Armstrong, Benny Carter und Coleman Hawkins spielten in der Fletscher Henderson Big Band. 1927 gründet Duke Ellington die Hausband des Cotton Club in Harlem und macht die Bigband Jazzmusik einem größeren Publikum bekannt. In den 30igern folgen die Bigbands von Tommy Dorsey, Benny Goodman, Artie Shaw und Chick Webb. Eine Zäsur erfährt die Bigband Musik in den Vierzigern.
Da sind zum einen die enormen Unterhaltskosten der Bigbands, es sterben die Musiker im Krieg, am Beispiel Glenn Miller, er verliert sein Leben bei einem Absturz über dem Ärmelkanal, die Musiker wichen in kleinere Formate aus, Charlie Parker und Dizzy Gillespie sorgten für eine grundsätzlich andere Ausrichtung des Jazz, weg vom Tanz hin zur inhaltlichen Auseinandersetzung – die Blütezeit des Swing und mit ihm die der Bigbands ging zuende – ein paar wenige wie Thad Jones und Buddy Rich gründeten ihrerseits noch einmal Big Bands im Sinn der Tradition swingender Einheiten. Der große Erfolg der Zwanziger Dreißiger Jahre aber blieb aus. Einen Kurzabriss zur Big Band Geschichte in den USA findest du im bigbandmusic guide oder auf Wikipedia_english.
Im Wikipedia Artikel bekommen wir auch einen Einblick in die Bandbreite an Stilen der Big Bands. Dort heißt es:
Viele der bekannteren Bands spiegelten die Individualität des Bandleaders, des Hauptarrangeurs und des Personals wider. Count Basie spielte einen entspannten, treibenden Swing, Bob Crosby (Bruder von Bing) eher einen Dixieland-Stil, Benny Goodman einen harten, treibenden Swing, und Duke Ellingtons Kompositionen waren abwechslungsreich und anspruchsvoll. In vielen Bands spielten starke Instrumentalisten, deren Klänge dominierten, wie z. B. die Klarinetten von Benny Goodman und Artie Shaw, die Posaune von Jack Teagarden, die Trompete von Harry James, das Schlagzeug von Gene Krupa und die Vibraphonklänge von Lionel Hampton
Oder auch:
Oft wird unterschieden zwischen den so genannten „Hard Bands“ wie denen von Count Basie und Tommy Dorsey, die den Schwerpunkt auf schnelle, treibende Sprungmelodien legten, und den „Sweet Bands“ wie dem Glenn Miller Orchestra und dem Shep Fields Rippling Rhythm Orchestra, die sich auf weniger improvisierte Melodien mit stärkerer Betonung der Sentimentalität spezialisierten und etwas langsamere, oft gefühlvolle Lieder spielten.
Und:
Dennoch pflegten viele der populärsten Big Bands der Swing-Ära kleine Gruppen innerhalb des größeren Ensembles: Benny Goodman z. B. entwickelte sowohl ein Trio als auch ein Quartett, Artie Shaw gründete die Gramercy Five, Count Basie die Kansas City Six und Tommy Dorsey die Clambake Seven.
Warum jetzt dieser Ausflug? Nun. Beginnen wollte ich mit dem Hinweis auf Bigbands als Domäne im deutschsprachigen Raum, sah aber ein, dass das ein allzu europäischer Blick auf die Zeit und die Musik wird – der Hinweis auf die vier großen Big Bands der Rundfunkanstalten steht, auch der auf die anderen Bekannten – hinzugekommen ist vor kurzem ein weiterer wichtiger Name: Tobias Hoffmann, geboren 1988 in Göppingen, Saxophonist und Bandleader – mit seinem Jazz Orchestra. Reichlich Furore hat ihm die Aufnahme Conspiracy eingebracht, auch die neue Aufnahme Innuendo wirbelt eine Menge auf.
Im ersten Hörgang: ja, der Broadway, ja, der Gerschwin, ja, der Sound von Stan Kenton, der Sound von – alles andere als Zwanziger Jahre Swing, mehr eine Auseinandersetzung mit Klangtiefe, Raum und der Stilvielfalt. Epische Erzählweisen, lyrische Elemente, chromatische Wechsel, ja, Komposition im Sinn der Dichte, der Melodieführung und der Spannungsfelder. Das ist Klangrausch wie Soundcollage wie Stück für Stück eine andere Geschichte und höchst anspruchsvoll, es wird ohne Übertreibung Jazzgeschichte hörbar.
Was in den Youtube Tapes wirkt wie beiläufig dirigiert, hört man deutlich als notenblattgefüllte komplexe Bläsersätze in den Gruppen Trompete, Saxophon und Posaune, satt und mächtig. Und wie in den Linernotes angedeutet: traditionsbewusst trotzdem stilübergreifend.
Nehmen wir Queens Innuendo: bei Queen ist es ein gigantischer Choralsatz mit pompös raumfüllender Fanfare – massiv und fast schon brachial – Tobias Hoffman beginnt seine Hommage auf diesen Queen-Song zwar vollsoundig, lässt große Bläsersätze aber in kleinteilig kammermusikartigen Fragmenten auflösen, um sie im Lauf der Komposition dahin zusammenzufügen, von wo aus Queen angesetzt hatte: jede der Bläsergruppen bekommt Gelegenheit, ins gemeinsam Großformatige überzuleiten, von Queen bleibt in dieser Hommage so gehört der Nachhall von Freddie Mecurys Stimme, hier feinsinnig vom Saxophonsolo aufgenommen, stilisiert und kontrapunktiv gegengelesen.
Nehmen wir Tobias Hoffmanns Herzenssache, oder wie er sagt: das zutiefst persönliche Sanctuary: es beginnt im Choral aller Bläsergruppen verinnerlicht tiefstimmig, um an das wie unter Laternenlicht surrende Saxophon zu übergeben in diesem Nachtschattenlichtspiel. Ganz die saxophone Stimme des Bigband Conductors fein aufgelöst im atmosphärischen Solo. Die Bläser untermalen wunderbar, im Decrescendo.
Nehmen wir No way Back: eingeläutet vom Piano und geführt vom Wechsel der Bläsersätze, wird daraus der Versuch eines Gesprächs von Klavier, Gitarre und Bassklarinette, wogegen sich die Volumina der Bläser erfolgreich stemmen, um einen der ihren, die Trompete, famos aufspielen zu lassen.
Die drei angeführten Beispiele deuten an, wie sehr sich Tobias Hoffmann in den Details auskennt, wie sehr er es versteht, die Akkordwechsel gegeneinander auszugleichen, wie leicht sich Unruhepassagen in ein Klavier- oder Saxophonsolo auflösen lassen, so, als gehörte es genau so gespielt, obwohl doch jederzeit Richtungswechsel und Interpretationsraum ebenso möglich sind. Komposition und Arrangement reichen den Solisten die Hand und ergeben in Gänze einen höchst interessanten, abwechslungsreichen und erzählfreudigen Sound aller, wie es sich versteht bei einer die Jazzgeschichte darlegenden Reise.
Eine Musik, aus du mit großem Gewinn hervortauchst, wenn erst die Lautsprecher verstummt sind – um sie gleich noch einmal zu hören und sie auszureizen nach dem, was dir beim ersten, zweiten oder dritten Mal alles entgangen zu sein scheint. Insofern nachvollziehbar und in sich stimmig, wie Jack Browers von allaboutjazz auf die Aussage kommt: Stan Kenton hätte es geliebt. Denn wie Stan Kenton versteht es Tobias Hoffmann, das Publikum durch Variationen von Ton, Tempo und Farbe seiner Orchestrierungen zu fesseln.
Referenzen: Jazzthing | Paris Move | Tobias Hoffmann | jazz-fun | Kulturport.de
With “Innuendo”, Tobias Hoffmann has delivered a stunning follow-up to his acclaimed 2022 album “Conspiracy”. From the dynamic title track homage to Queen to the deeply personal “Sanctuary” to the groundbreaking exploration of through-composed form on “Perseverance”, this album showcases Hoffmann’s remarkable growth as a composer and arranger. His deft blending of jazz with influences like classical, rock, and minimalism results in a thrillingly eclectic yet cohesive listening experience. Bolstered by a stellar ensemble brimming with virtuosic soloists, “Innuendo” cements Hoffmann’s reputation as one of the most exciting creative voices in contemporary large ensemble jazz. Liner Notes
The big bands of the radio stations WDR SWR NDR HR, which regularly appear on recordings, are well known, as are the names Peter Herbolzheimer, Max Reger, Hugo Strasser or Günter Noris when it comes to big band sound or dance orchestra music in German-speaking countries.
The Hans Anselm Big Band or the Jazzrausch Big Band are now well-known, and if we look only at Berlin, we come across the Big Band of the Deutsche Oper Berlin or the Composers Orchestra Berlin or the Berlin Jazz Composers, right up to the Funky Big Band Berlin, a big band consisting of amateur musicians – perhaps of interest to history buffs: the reference to the so-called Mr. Gobbels Jazz Band, known as Charlie and his Orchestra.
Also from history: the big bands of the GDR and the FRG as radio dance orchestras with easily accessible melody sequences, which always played catchy tunes in the pop tradition with a focus on synchronously developed light muse for lively days.
In fact, the big band is a formation that emerged in the USA in the 1920s from brass bands playing mainly marching music on the streets. The first big band is said to have been founded in 1923 by Fletscher Henderson and was called the Rosland Ballroom Orchestra. Read about it as a PDF:
Together with his arranger Don Redman, he (Fletscher Henderson) began to combine the wind instruments in the orchestra into “movements”. He formed a trumpet and trombone section, a saxophone and clarinet section and arranged his pieces so that each of these sections formed a unit. In doing so, he creates a completely new arranging technique
Louis Armstrong, Benny Carter and Coleman Hawkins played in the Fletscher Henderson Big Band. In 1927, Duke Ellington founded the house band of the Cotton Club in Harlem and made big band jazz music known to a wider audience. The big bands of Tommy Dorsey, Benny Goodman, Artie Shaw and Chick Webb followed in the 1930s. Big band music experienced a turning point in the forties.
On the one hand, there were the enormous maintenance costs of big bands, musicians died in the war, for example Glenn Miller, who lost his life in a crash over the English Channel, musicians switched to smaller formats, Charlie Parker and Dizzy Gillespie brought about a fundamental change in the direction of jazz, away from dance and towards a discussion of content – the heyday of swing and with it that of big bands came to an end – a few, such as Thad Jones and Buddy Rich, founded big bands once again in the tradition of swinging units. However, the great success of the 1920s and 1930s failed to materialize. You can find a brief outline of big band history in the USA in the bigbandmusic guide or on Wikipedia_english.
The Wikipedia article also gives us an insight into the range of styles of big bands.
It states:
Many of the better known bands reflected the individuality of the bandleader, the lead arranger, and the personnel. Count Basie played a relaxed, propulsive swing, Bob Crosby (brother of Bing), more of a dixieland style,[43] Benny Goodman a hard driving swing, and Duke Ellington’s compositions were varied and sophisticated. Many bands featured strong instrumentalists whose sounds dominated, such as the clarinets of Benny Goodman and Artie Shaw, the trombone of Jack Teagarden, the trumpet of Harry James, the drums of Gene Krupa, and the vibes of Lionel Hampton.
Or also:
A distinction is often made between so-called „hard bands“, such as those of Count Basie and Tommy Dorsey, which emphasized quick hard-driving jump tunes, and „sweet bands“, such as the Glenn Miller Orchestra and the Shep Fields Rippling Rhythm Orchestra[45][46] who specialized in less improvised tunes with more emphasis on sentimentality, featuring somewhat slower-paced, often heart-felt songs.
And:
Even so, many of the most popular big bands of the swing era cultivated small groups within the larger ensemble: e.g. Benny Goodman developed both a trio and a quartet, Artie Shaw formed the Gramercy Five, Count Basie developed the Kansas City Six and Tommy Dorsey the Clambake Seven.
Why this excursion now? Well, I wanted to start with a reference to big bands as a domain in German-speaking countries, but realized that this would be an overly European view of the times and the music – the reference to the four big bands of the radio stations stands, as does the reference to the other well-known ones – but recently another important name has been added: Tobias Hoffmann, born in Göppingen in 1988, saxophonist and bandleader – with his Jazz Orchestra. His recording Conspiracy caused quite a stir, and the new recording Innuendo is also causing quite a stir.
The first listen: yes, Broadway, yes, Gerschwin, yes, the sound of Stan Kenton, the sound of – anything but twenties swing, more an exploration of sound depth, space and stylistic diversity. Epic narratives, lyrical elements, chromatic changes, yes, composition in the sense of density, melody and fields of tension. This is sound intoxication like sound collage, like a different story piece by piece, and highly sophisticated, making jazz history audible without exaggeration.
What seems to be casually conducted in the YouTube tapes can be clearly heard as sheet music-filled complex brass sections in the trumpet, saxophone and trombone groups, rich and powerful. And as indicated in the liner notes: tradition-conscious yet cross-style.
Let’s take Queen’s Innuendo: Queen’s is a gigantic choral movement with a pompous, room-filling fanfare – massive and almost brute – Tobias Hoffman begins his homage to this Queen song with a full sound, but lets the large brass sections dissolve into small, chamber music-like fragments in order to bring them together in the course of the composition to where Queen started from: Each of the wind groups is given the opportunity to transition into the large-scale together, so what remains of Queen in this homage is the echo of Freddie Mecury’s voice, here subtly taken up by the saxophone solo, stylized and counterpointed.
Let’s take Tobias Hoffmann’s Herzenssache, or as he says: the deeply personal Sanctuary: it begins in the chorale of all the wind sections in an internalized low voice, only to be handed over to the saxophone buzzing as if under lantern light in this play of night shadow light. The saxophone voice of the big band conductor is finely resolved in the atmospheric solo. The wind instruments provide a wonderful backdrop in a decrescendo.
Let’s take No way Back: heralded by the piano and led by the alternating brass sections, it becomes an attempt at a conversation between piano, guitar and bass clarinet, against which the brass section successfully braces itself to allow one of its own, the trumpet, to play splendidly.
The three examples given indicate how much Tobias Hoffmann knows about the details, how well he knows how to balance the chord changes against each other, how easily restless passages can be dissolved into a piano or saxophone solo, as if it were played in exactly the same way, although changes of direction and scope for interpretation are just as possible at any time. Composition and arrangement lend a hand to the soloists and result in a highly interesting, varied and narrative sound, as is natural on a journey through jazz history.
Music that you will emerge from with great profit once the loudspeakers have fallen silent – in order to listen to it again and to exhaust it after what you seem to have missed the first, second or third time. In this respect, it is understandable and consistent how Jack Browers from allaboutjazz comes to the conclusion that Stan Kenton would have loved this. Because like Stan Kenton, Tobias Hoffmann knows how to captivate the audience by varying the tone, tempo and color of his orchestrations.
