Bach: Matthäus Passion, BWV 244 Ton Koopman

Modern Church Groove

Modern Church Groove

Alles Perfomance pur, alles entweder oder, alles auf eine Karte und schnell weg oder noch höher, noch schneller, noch weiter, vier Tage gibt es im Jahr um Ostern herum, die mir seit Jahren so etwas wie Entschleunigung versprechen, obwohl auch sie fortwährend, wie in den letzten Jahren zu spüren, Leistung, Leistung, Fleiß und Leistung fordern. Am Ende des ersten Quartals – alles scheint sich wie aus heiterem Himmel seiner Religiösität zu erinnern und macht auf heilig, unschuldig, fromm und gandenvoll – die salbungsvollen Reden kommen von den Kanzeln herunter wie Schwärme von Moral und Verzagen, es entweichen die pathetischen Begriffe wie Spatzen ihren Mundhöhlen, du siehst oder hörst die Matthäus Passion zum wievielten Mal – und fragst dich einmal mehr: wann wird das alles einmal still.

Nichts wird still, es sei denn … wenn ich im Netz suche nach Jazz und Ostern … werde ich ausgeliefert – da ist so gar keine Konsistenz oder tatsächliche Osterfreude zu erkennen, sondern fortwährendes vokales Dauerreden und Ei(n)erlei – schau selbst nach Easter Jazz oder nach Jazz und Ostern – der reinste Promotion-Gag. Muss man denn alles“ in Anführungsstriche setzen“ oder kursiv?

Wer diesem Blog schon länger seine Aufmerksamkeit schenkt, wird wissen, dass es immer zu Ostern, sprich zu Karfreitag, zum Zusammenbruch der Seele kommt beim Hören von Ton Koopmans Matthäuspassion, das ist eine aus der Jugend zugespielte Unsitte – da wurde gern gestritten, ob die Johannes- die Matthäuspassion übertrifft – der Profi (der Pastor) entschied sich für die Johannes-Passion, der Laie (mein Vater) für die Matthäuspassion – das ist die mit den Engelsstimmen (wir Kinder) und dem famosen Schlussschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ (die Mutter) und der Stimme Jesu im Streit mit dem Erzähler – Oh Haupt voll Sünden – was sind das Choräle – wie modernistisch Koopman die barocke Anlage erklingen lässt – oder ist das etwa noch barocker als barock – in dieser fantastischen Akustik der St. Joris Church, Amersfoort, Netherlands

Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 244, Part 1 - Ton Koopman (HD 1080p)
Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 244, Part 1 – Ton Koopman (HD 1080p)

Was Johann Sebastian Bach dort zusammengeschrieben hat, dachte ich einmal, ist das wohl schönste Musikgewölbe zwischen Mensch und unbekannter Gottgröße, nicht zu greifen, geschweige zu begreifen – menschlich erzeugte Größe, in Umkehrrelation heißt das: eine Erzählung über die Musik an sich und über das Geschehen auf Golgatha – vergessen wir nicht, wie unterschiedlich dies interpretiert werden kann – allein die Judas-Passage – da erst der Verrat den Tod Jesu bedingt – auf dass er auferstehe – der Sinn der Auferstehung sich dem Verrat unterwirft : oder unterwirft sich der Verrat der Auferstehung?

Auf dem Weg dessen das Leid in der Erzählung [über die Musik von Johann Sebastian Bach] – einig werden kann man sich über die Stimmen dieser Aufführung – Klaus Mertens, Bogna Bartosz, Jörg Dürmüller als Evangelist, Paul Agnew, Cornelia Samuelis – dachte ich – bis mir der Verriss im Rondo von Michael Wersin unterkam – da weiß ich nun nicht, was entsetzlicher ist – der Verriss oder meine Überzeugung, es handele sich um eine mehr als interessante Inszenierung.

Ich höre ja nicht das Entsetzliche, das Wersin hört, sondern das, was in der Musik selbst angelegt ist – mit verstimmten Flöten, mit verpassten Tönen, ja, doch – auch die abhanden kommende Präzision, es ist dies ein Live-Mitschnitt, nicht wahr – mit handwerklichen Unpässlichkeiten, die im Kontext der Judas Verrats-Geschichte allzu menschlich wirken – wie die Geschichte um die Kreuzigung und Auferstehung, genau betrachtet, keiner Wahrheitsfindung standhalten kann.

Allgegenwärtiges: Mensch und Sinne sind nicht etwa seelenverwandt im religiösen Sinn, sondern Partner des Geistes, des Verstandes, der Vernunft gleichermaßen und benötigen auch jenes Schauern, Schütteln und meinetwegen Gruseln, Grauseln und Auseinanderfallen zum Stillstandstag, dem Karfreitag – dem die wenigen freien Tage des Jahres folgen – da man auch mal zwei Aufnahmen gegeneinander ausspielen kann – ich die Worte Michael Wersins über Ton Koopman genau so gut über die Aufnahme von Simon Rattle legen könnte – ich betone könnte [kursiv geschrieben] nicht die Matthäus Passion erscheint mir monumental, die Simon Rattle Inszenierung ist es – sehr stark ins Volumen geführt.

Die Inszenierung von Van Veldhoven dagegen:

Bach - St Matthew Passion BWV 244 - Van Veldhoven | Netherlands Bach Society
Bach – St Matthew Passion BWV 244 – Van Veldhoven | Netherlands Bach Society
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Bach: Matthäus-Passion, BWV 244
Ton Koopman
Bach, J.S.: St. Matthew Passion, BWV 244
The Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner
Bach, J.S.: St. Matthew Passion, BWV 244
The Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner
Bach, J.S.: St. John Passion, BWV 245
English Baroque Soloists, Monteverdi Choir, John Eliot Gardiner
Bach, J.S.: St. John Passion, BWV 245
English Baroque Soloists, Monteverdi Choir, John Eliot Gardiner

mein persönliches Fazit: die Ton Koopman Aufnahme von 2005 ist der von1993 vorzuziehen – gerade wegen der Brüche, der Ungereimtheiten, der scheinbar falschen Töne in 2005 – was auch auf die Akustik rückführbar ist – je präziser und perfektionistischer eine Inszenierung sein will, desto größer der Abstand zwischen Publikum und Bühne – die Aufnahme von 2005 dagegen besticht durch ihre innere Fragilität – sie führt mitten ins Geschehen : jeder schiefe Ton führt näher ans Geschehen heran und steigert das Schaudern – bei den perfektionistischen Inszenierungen dagegen bleibe ich distanziert – und werde kaum überrascht oder erfasst.

herauszuarbeiten wäre: die jazzigen Anteile – in nahezu jeder Arie der 2005er Aufnahme schwingt es gewaltig – ein weiterer Lakmustest: „so ist mein jesus nun gegangen“ mit anschließendem Blitzen und Donnern – das ist auf der 2005er Aufnahme von Koopman so mit das dramaturgisch Überzeugendste, was ich bis dato hörte zu dieser Passage : überhaupt: die Cello- und Kontrabassmomente über die Gesamtaufnahme verteilt : famos.

Ich wollte ja nicht abzielen auf die unterschiedlichen Spielarten – sondern anregen: Die Erweiterung der Kirchenräume um ihre Musikräume – in die auch der Jazz einkehrt – ob das wider die Säkularisierung geschieht oder durch sie – wäre ein weiterer Aspekt, eine andere Frage – wäre ein Buch. Ist das ein Buch? Es wurde zum Buch : siehe Buch.

BUCHTIPP Jazz und Spiritualität

– wenn Musik zur Religion wird * Uwe Steinmetz NDR KULTUR Mediathek

Jazz zwischen Nachtclub und Himmel – Lebenszeichen | 29. März 2024, 08.30 – 09.00 Uhr | WDR 3 Lebenszeichen | 29. März 2024, 11.30 – 12.00 Uhr | WDR 5

Modern Church Groove Jazz goes to – ausbaufähig
– kann man machen, dachte ich im Ohrensessel, allein, mir fehlt es an Zeit
– mal sehen ob das trägt (Feature in Vorbereitung Jazz zu Ostern)

Die religiös-spirituelle Dimension des Jazz * John Coltrane Church
Das XJAZZ Festival in der Emmauskirche

Weitererzählen mit eigener Stimme * Jazz als utopische Musik * dass Jazz etwas zu sagen hat, eine Geschichte, eine Erzählung, eine Fügung * was ein Glück, wenn zwei oder drei sich treffen * Jazz weitet die Räume * bring die Kirche in den Club * die Musik ist in der Erde, in der Luft, im Himmel. * Herbie Hancock: Spiritueller Friedensstifter des Jazz * In der Church Of John Coltrane in San Francisco hat man einen Musiker zum Heiligen erklärt. Die „hippste Kirche überhaupt“, urteilte die New York Times. Dem Jazz von Ernst Jandl verpflichtet 

Und bedenke noch: Am Anfang war das Wort.

Wer nun [umsonst] darauf wartet, dass ich zu erklären beginne, wo die Musik aufhört und wo das Leiden beginnt – ist in jeder Güteklase zwischen Zweifel Glauben Glück und Bedauern in der Matthäus Passion bestens aufgehoben – Am Karfreitag ist es erlaubt, sie zu hören.

english

It’s all pure performance, it’s either or, it’s all on one card and get away quickly or go even higher, even faster, even further, there are four days a year around Easter that have promised me something like deceleration for years, although they too, as I have felt in recent years, constantly demand performance, performance, diligence and performance. At the end of the first quarter – everything seems to remember its religiosity as if out of the blue and is acting holy, innocent, pious and full of grace – the unctuous speeches come down from the pulpits like swarms of morality and despondency, the pathetic words escape like sparrows from their mouths, you see or hear the St Matthew Passion for what seems like the umpteenth time – and ask yourself once again: when will it all fall silent?

Nothing gets quiet, unless … when I search the net for jazz and Easter … I am delivered – there is no consistency or actual Easter joy to be recognised, but rather constant vocal chatter and egg(n)erlei – look for Easter jazz or jazz and Easter yourself – the purest promotional gag. Do you have to put „everything“ in inverted commas or italics?

Anyone who has been paying attention to this blog for a while will know that listening to Ton Koopman’s St Matthew Passion always causes a breakdown of the soul at Easter, i.e. on Good Friday, which is a bad habit passed down from our youth – people liked to argue about whether the St John Passion was superior to the St Matthew Passion.

What Johann Sebastian Bach wrote there, I once thought, is probably the most beautiful vault of music between man and the unknown greatness of God, impossible to grasp, let alone comprehend – man-made greatness, in inverse relation, that is: a narrative about the music itself and about the events on Golgotha – let us not forget how differently this can be interpreted – the Judas passage alone – since it is the betrayal that causes the death of Jesus – so that he may rise again – the meaning of the resurrection submits to the betrayal : or does the betrayal submit to the resurrection?

Along the way, the suffering in the narrative [via the music of Johann Sebastian Bach] – one can agree on the voices of this performance – Klaus Mertens, Bogna Bartosz, Jörg Dürmüller as the Evangelist, Paul Agnew, Cornelia Samuelis – I thought – until I came across Michael Wersin’s riposte in the Rondo – I don’t know what is more appalling – the riposte or my conviction that this is a more than interesting production.

I don’t hear the horror that Wersin hears, but rather what is inherent in the music itself – with out-of-tune flutes, with missed notes, yes, yes – even the lack of precision, this is a live recording, isn’t it – with technical infelicities that seem all too human in the context of the Judas betrayal story – just as the story of the crucifixion and resurrection, viewed closely, cannot stand up to any search for truth.

The omnipresent: Humans and the senses are not soul mates in the religious sense, but partners of the spirit, of the mind, of reason in equal measure and also require that shuddering, shaking and, for my sake, creeping, horror and falling apart to come to a standstill day, Good Friday – which is followed by the few free days of the year – because you can also play two recordings off against each other – I could just as well put Michael Wersin’s words about Ton Koopman over Simon Rattle’s recording – I emphasise could [italics added] not the St Matthew Passion seems monumental to me, the Simon Rattle production is – very strongly led into the volume.

Van Veldhoven’s production, on the other hand:

I didn’t want to focus on the different types of music – I wanted to inspire: The expansion of church spaces to include their musical spaces – into which jazz also enters – whether this happens against secularisation or through it – would be another aspect, another question – would be a book. Is that a book? It became a book : see book.

BOOK TIP Jazz and Spirituality

  • when music becomes religion * Uwe Steinmetz NDR KULTUR Mediathek

Jazz between nightclub and heaven – Lebenszeichen | 29 March 2024, 08.30 – 09.00 a.m. | WDR 3 Lebenszeichen | 29 March 2024, 11.30 – 12.00 a.m. | WDR 5

Modern church groove jazz goes to – expandable

  • can be done, I thought in my wing chair, but I don’t have the time
  • let’s see if it works (feature in preparation Jazz at Easter)

The religious-spiritual dimension of jazz * John Coltrane Church
The XJAZZ Festival in the Emmaus Church

Telling stories with your own voice * Jazz as utopian music * that jazz has something to say, a story, a narrative, a coincidence * what luck when two or three meet * jazz expands the spaces * bring the church into the club * the music is in the earth, in the air, in the sky. * Herbie Hancock: Spiritual peacemaker of jazz * In the Church Of John Coltrane in San Francisco, a musician has been declared a saint. The „hippest church ever“, according to the New York Times. Committed to the jazz of Ernst Jandl

And remember: In the beginning was the word.

Whoever is now waiting [in vain] for me to begin to explain where the music ends and the suffering begins – is in the best of hands in every phase of goodness between doubt, happiness and regret in the St Matthew Passion – on Good Friday it is permitted to listen to it.

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