Joe Hertenstein: von der Lieblingsaufnahme zum großen Wurf
Zwischen Saxophon, Bass und Posaune
veröffentlicht am 7. Oktober 2025
Ray Anderson – trombone
Michael Moore – alto saxophone and clarinet
Michael Formanek – bass
Joe Hertenstein – drums
Compositions 1-5 by Joe Hertenstein; 6 by Michael Moore
1, 3, 4, 5, recorded at Institut Francais, Berlin, Germany by Kellen Mills on 10/24/2024
2 recorded at Alte Gerberei, St. Johann, Austria by Charlie Wienand on 10/25/2024
6 recorded at Jazz&Wine of Peace Festival in Cormons, Italy by Matej Čelik on 10/26/2024
Mixed and mastered by Friedrich Störmer
Cover photography by Manfred Wimmer
Inside photographs by Patrick Van Vlerken
Produced by Joe Hertenstein
Cover design: Marek Wajda
Executive Producer: Maciej Karlowski
In Aussicht gestellt sind: weitere Mitschnitte der Tournee als LP – derzeit über Fundacja Sluchaj @ Bandcamp, absehbar auch bei nomansland-records.de und open-door.de
Wir haben schon so einiges von Joe Hertenstein zu sehen und zu hören bekommen und sollten, so möchte man glauben, endlich erfüllt sein von seinem Spiel, seiner Herangehensweise, seiner Präzision und Intelligenz, seiner treibenden Kraft und seiner Freude am Spiel der anderen – nachzulesen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Vorzeichen in: die Anderswelt von Joe Hertenstein, zu den Konzerten mit Joe Hertenstein im Sowieso, im Morphine Records, im Terzo Mondo, im Panda – oder eben auch am Kaisersteg, im Industriesalon, im Kühlspot – wer ein besonderes Highlight sucht, wird in Moers YOUTUBE (!) fündig.
Wie so häufig bei guten Erzählern, denen der Stoff nicht auszugehen scheint und die nie fertig werden mit ihrem Werk, bleiben wir als Zuhörende hungrig – dazu reicht nicht etwa die Feststellung, sie hätten so ein großes Repertoire oder so einen großen technischen Apparat – es reicht auch nicht hin, das mit Neugier oder mit emphatischen Wellen oder anderen mysterienbesetzten Räumen zu erklären – es will auch nicht glaubhaft werden dadurch, dass man nur eine Supergroup zusammenbringt und der Rest wird schon – es muss in dem etwas sein, was es sonst eher selten gibt.
Wenn wir die Summe bilden aus dem, was sie jeder für sich schon aufgestellt haben, kommen wir auf eine Sammlung von unzähligen Stunden, wir überschlagen kurz: Michael Formanek: mindestens 18 Aufnahmen als Leader und ebenso viele, wenn nicht mehr, als Sideman. Ray Anderson: mindestens 18 Aufnahmen als Leader und sehr viele unterschiedliche Projekte als Sideman. Michael Moore: mehr als 15 Aufnahmen als Leader – und unzählige Projekte als Sideman. Auch Joe Hertenstein kommt auf inzwischen mehr als 17 Aufnahmen.
Auch haben sie in unterschiedlichen Formationen Auftritte und Aufnahmen hingelegt, erwähnt sei die Aufnahme Live during Lockdown Joe Hertensteins mit Greg Cohen und Michael Moore, vor Jahren spielte Joe Hertenstein mit Ray Anderson in New York in den Bands von Butch Morris und Tim Hagens. Es gibt ein noch nicht veröffentlichtes Album von Joe Hertenstein mit Michael Formanek, Mat Maneri und Fred Lonberg-Holm.
Nun könnte man behaupten, Masse sei nicht gleich Klasse, in diesen Fällen aber dürfen wir umgekehrt reziprok vorgehen: es multipliziert sich Masse mit Klasse und wirft einen weiteren Spitzenartikel auf den Tisch, und wer geglaubt hätte, dass es sich um eine jener freiimprovisierten Aufnahmen handelt, da jeder nur darauf wartet, dem anderen etwas vorzuspielen oder auf sich insbesondere und dann auf die anderen aufmerksam zu machen, kann dieses Verlustrisiko gegen Besseres tauschen. Es handelt sich eher um eine FreeBop Aufnahme mit schönen Reminiszenzanteilen an Jutta Hipp und Paul Motian, es handelt sich um feine Abstimmung und stellenweise wunderbar groovigen Sound. Es handelt sich um ein Zusammenspiel vierer, die, trotz sie so vieles schon gespielt und erlebt haben, noch immer vor Spielfreude platzen und sich ganz ihrem Willen zum kommunikativen Miteinander hingeben.
Es handelt sich um eine Aufnahme, die ihren Suchtfaktor gleich mitliefert und wer sie einmal, zweimal, ein drittes Mal hört, braucht vorerst kein anderes Rauschmittel, um sich aus dem, was die Welt derzeit aus einem machen will, zu verabschieden. Das Credo, sie musizieren eh nur, was sie schon können, lässt sich Stück für Stück gegenlesen: ein Album, das sich als Zusammenspiel einer sogenannten Supergroup ankündigt und darüber hinaus zum großen Wurf wird, zu einem weiteren Meilenstein ihrer jeweiligen Biographien, es treffen sich vier zur Europatournee und wenn du so willst, bringen sie eine ganze Serie an Aufnahmen mit. Die beiden Youtube Videos sind in Österreich entstanden – die gleichlautenden Titel der Aufnahme im Institut Francais in Berlin – wenn du es abgleichen willst: zwei Seiten einer Medaille – wir haben einen kompositorisch wie kommunikativ herausragenden Joe Hertenstein am Schlagzeug, der mit seinen Partnern auf dieser Aufnahme belegt, dass man bei aller Erfahrung durchaus über sich selbst hinauswachsen kann.
Mit den besten Empfehlungen: MUSS MAN GEHÖRT HABEN – auch oder gerade in unseren sogenannten übersättigten Kreisen.


