Sebastien Ammann – Change of Course
Sebastien Ammann – Change of Course
Sebastien Ammann – Change of Course
release 21.06.2024 | label: Skirl Records
Ralph Alessi – trumpet
Caroline Davis – alto saxophone (track 5, 6)
Sebastien Ammann – piano
John Hébert – bass
Eric McPherson – drums
Berührungspunkte gibt es – viele – der aus der Schweiz stammende Sebastien Ammann wurde für sein 2020 erschienenes Album Resilience mehrfach gelobt, dort spielte er mit den in Berlin nicht unbekannten Michaël Attias und Samuel Blaser zusammen. Thematisch durchpflügt er auf seinem neuesten Album das Reflexionsfeld Mensch, Natur und Ausbeutung der Natur, die schließlich zur Selbstausbeutung des Menschen führt, wie im Stück The Web of Life angedeutet: „Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht gewebt, er ist nur ein Faden darin. Was immer er dem Netz antut, tut er sich selbst an.“ (Häuptling Seattle)
Verhältnismäßigkeit, Zuordnung, Abstimmung und ein Verständnis für Zusammenhänge ziehen sich wie ein roter Faden durch dieses einmal mehr hochkarätig besetzte Album. Sie kennen sich aus dem gemeinsamen Projekt Gaia Quartet. Wer die Namen sieht, ahnt schon etwas vom hohen Anspruch und der Ambition, die dahinter steckt, eine fast schon moralische Bürde angesichts der Ungleichzeitigkeit von Wunsch und Handeln, von Haben oder Sein oder wie es zu Jevons Paradox lautet: Es besagt, dass eine Steigerung der Effizienz der Ressourcennutzung zu einem Anstieg des Ressourcenverbrauchs führt und nicht zu einem Rückgang.
Berührungspunkte gibt es – viele. In den Paradoxien, den Gegensätzen, den Unterschieden – vermeintlich Unversöhnliches steht im einander abweisenden Magnetfeld – bei wissenschaftlich nicht erwiesenem Mono-Pol, was ein Magnet wäre mit nur Süd- oder Nordpol – aber: verwechseln Sie bitte nicht Plus- mit Minuspol – und Anziehungskraft nicht mit Abstoßung – dagegen: wie trennt man zwei Magnete, die mit ganzer Kraft aneinanderkleben, das Paradoxon im Zusammenspiel oder das Abweisende im Magnetfeld oder was nicht zusamenwill, gehört trotzdem unhaltbar zusammen – das Gute mit Umkehrschub austreiben, wo wir sind: warum gute Musik wenigen statt mehr gefällt. Warum erst die Pandorabüchse öffnen, wo sie nichtmal zusammenhält, was in ihr zerfällt.
Berührungspunkte – auseinandergeschrieben – Berührung und Punkt – das trifft sich eher selten – wo zu beklagen ist, wie sich politische Avancen und Differenzen im gesellschaftlichen Drift üben, und das heillos, ziellos und offenbar wie aus sich verselbständigenden Trollhäusern herausgeworfen, die Musik sich dem kaum stellt, es nicht widerspiegelt, es nicht spielt, es selten thematisiert und wenn, bleibt es bei Worten und Erklärungen.
Die Messlatte ist angelegt.
Sie zeigt sich komplex, nicht verzerrt oder schmerzhaft – da schlägt die Harmonie das Spiel mit der Paradoxie, wenn Themen schwer werden, kann Musik sie heben oder durchdringen – jeder Versuch zählt. Es ist der verspielte Raum, den sie einander zuwerfen, feinsinnig und quasi gewaltfrei.
Höchstwertigstes Material, das sich verfängt und in dir nachsingt, so du dich darauf einlässt. Ein weiteres Paradox: warum hat Gutes es so schwer sich durchzusetzen, warum siegt scheinbar immer der Schuft. Das ist wirklich nicht auszuhalten. Dazu die Musik. Dafür oder dagegen. Ich bin dafür. Wer musiziert braucht Partner. Selten Gegner.
Das Thema Natur versus Mensch wäre leicht umzukehren, würden wir der Kunst folgen: und alles stoppen“ und „Lasst uns nach einer Periode des totalen Stillstands nur die Dienstleistungen und Produkte zurückbringen, auf die wir nicht verzichten können“, sagt Sebastien Amman – ebenfalls ein Paradox – oder doch mehr eine Fantasie [ein Traum]? Die Musik überbietet das in ästhetischem Glanz, fast ist man geneigt zu sagen, sie ist zu schön und zu gut, um wahr zu sein oder zu werden – sie ist aber so gut wie sie schön dargestellt ist im Widersinn der Paradoxien.
Nochmal die Berührungspunkte – die so fernliegenden Behauptungen – die Fragen entstehen vergehen verblassen verfliegen, was bleibt ist der Widerborst, der Stachel, die Wut, der Jähzorn – über eine Gleichgültigkeit, der alles missfällt, sobald ihr Hochwertiges vorgehalten wird – insofern: noch immer leben wir in postmodernen Diskuren, die hier und da dekonstruiert scheinen, da waren selbst die Dekonstruktivisten erstaunt ob ihrer Wirkung, wenn alles zerfällt – es braucht inzwischen waghalsigere Antikolaborateure der Moderne, die die Errungschaften des Mit- und Umeinander auf ihre Notenblätter ziehen.
Da jede Paradoxie einem anderen physikalischen Gesetz folgt: dem der Entropie als Maß der Unordnung je nach Perspektive: ob du dich als in geschlossenen oder offenen Systemen bewegend ansiehst. Insofern kehrt sich auch jeder moralische Ansatz um: je mehr du forderst, desto widerständiger fällt die Antwort aus. Da niemand den Schuft will, wächst erst seine Bedeutung. Insofern: Genießen wir oder widerstehen wir der Musik, lassen dafür aber Stift und Zettel liegen und das Denken und Diskutieren – auch das wäre Ergebnis eines: lasst uns das alles stoppen jetzt. Im Gegenfluss der Zeit.
Wir kehren an den Anfang zurück. Die Überschneidungen und Berührungspunkte: sie sind im ersten Stück sehr umfänglich beschrieben und bespielt: Kontemplation – ein Innehalten und das Leben betrachten, die Einladung steht: sich auf die Sinne zu konzentrieren und das Wunder des Lebens und der natürlichen Welt anzusehen, einzusehen und zu respektieren. Statt es … undsoweiter.
Sagen wir so: die Messlatte und der Anspruch sind hoch angelegt und wird denen zusprechen, die sich in diesem Punkt treffen, das aber ist gleichbedeutend mit einem höheren Aufwand an Energie – [sich nämlich zu finden] – wenn mehr Menschen mehr können und wollen – ist es folgerichtig, dass es zu Wachstumsschüben kommt : zu weiteren Ungleichheiten – was sich so einfach anhört, ist schon der erste Ansatz zum Wachstum und zum Überfluss – an Anspruch und Mitteilung – umgekehrt porportional hört kaum jemand zu, wenn die Hybris darauf aus ist, sich als Mensch über die Dinge zu stellen.
Und wieder umgekehrt proportional kann es kaum beruhigen, dass jeder Mensch nur eine begrenzte Zeit hat, zu helfen, den Planeten zu verwüsten – auch das kann nicht beruhigen: solange der Mensch sich zum Mittelpunkt der Schöpfung erklärt, wird er selbst es kaum überleben. Bis dahin bleibt ein Trost: Diese Aufnahme, die die Ohren öffnet und die Sinne – es noch einmal zu überdenken.
Und vielleicht doch noch einen Kurswechsel hinzubekommen, die Crew um Sebastien Amman macht es uns vor. Mit höchstem Anspruch und nuancierter Präzision. [Mit Liebe zum Detail]
Englisch Version
There are many points of contact – Sebastien Ammann, who hails from Switzerland, was praised several times for his 2020 album Resilience, where he played together with Michaël Attias and Samuel Blaser, who are not unknown in Berlin. On his latest album, he thematically ploughs through the field of reflection of man, nature and the exploitation of nature, which ultimately leads to the self-exploitation of man, as indicated in the piece The Web of Life: „Man has not woven the web of life, he is only a thread in it. Whatever he does to the web, he does to himself.“ (Chief Seattle)
Proportionality, correlation, coordination and an understanding of connections run like a red thread through this album, which once again features a top-class line-up. They know each other from their joint project Gaia Quartet. Anyone who sees the names already has an inkling of the high standards and ambition behind it, an almost moral burden in view of the disparity between desire and action, between having and being, or as Jevon’s paradox goes: it states that an increase in efficiency of resource use will generate an increase in resource consumption rather than a decrease.
There are many points of contact. In the paradoxes, the opposites, the differences – supposedly irreconcilable things stand in the mutually repelling magnetic field – with a scientifically unproven Mono-Pole, which would be a magnet with only south or north pole – but: please do not confuse positive with negative pole – and attraction not with repulsion – against it: how do you separate two magnets that stick together with all their force, the paradox in the interaction or the repulsion in the magnetic field or what does not want to go together nevertheless belongs together untenably – drive out the good with reverse thrust, where we are: why good music pleases few instead of more. Why first open the Pandora’s box when it doesn’t even hold together what falls apart in it.
Points of contact – written apart – contact and point – that rarely meet – where it is to be lamented how political advances and differences are practiced in social drift, and that hopelessly, aimlessly and apparently as if thrown out of troll houses that have taken on a life of their own, the music hardly confronts it, does not reflect it, does not play it, rarely addresses it and if it does, it remains with words and explanations – the bar is set.
It is complex, not distorted or painful – harmony beats playing with paradoxes, when themes become heavy, music can lift or penetrate them – every attempt counts. It is the playful space that they throw at each other, subtle and virtually non-violent.
The highest quality material that catches and resonates with you, if you let it. Another paradox: why is it so difficult for the good to prevail, why does the villain always seem to win? It really is unbearable. Plus the music. For or against. I’m for it. Anyone who makes music needs partners. Rarely opponents.
The issue of nature versus man would be easy to reverse if we were to follow art: and „Let’s stop everything“ and „After a period of total stoppage, let’s bring back just the services and products we can’t do without“, says Sebastien Amman – also a paradox – or more of a fantasy [a dream]? The music surpasses this in aesthetic splendor, one is almost inclined to say that it is too beautiful and too good to be or become true – but it is as good as it is beautifully presented in the absurdity of paradoxes.
Once again the points of contact – the assertions that are so far away – the questions arise fade away, what remains is the barb, the sting, the anger, the irascibility – about an indifference that dislikes everything as soon as something of high value is held up to it – in this respect: we still live in postmodern discourses that seem deconstructed here and there, even the deconstructionists were astonished at their effect when everything falls apart – in the meantime, more daring anti-collaborators of modernity are needed to paint the achievements of togetherness on their sheet.
Since every paradox follows a different physical law: that of entropy as a measure of disorder depending on your perspective: whether you see yourself as moving in closed or open systems. In this respect, every moral approach is reversed: the more you demand, the more resistant the answer will be. Since nobody wants the villain, his importance only grows. In this respect: let’s enjoy or resist the music, but leave pen and paper behind and stop thinking and discussing – that would also be the result of one thing: let’s stop everything. In the counterflow of time.
We return to the beginning. The overlaps and points of contact: they are described and played with in great detail in the first piece: Contemplation – a pause and contemplation of life, the invitation stands: to focus on the senses and to look at, take in and respect the wonder of life and the natural world. Instead of it … and so on.
Let’s put it this way: the bar and the claim are set high and will be awarded to those who meet on this point, but this is tantamount to a higher expenditure of energy – [namely to find oneself] – if more people can and want more – it is logical that there will be growth spurts : further inequalities – what sounds so simple is already the first approach to growth and abundance – in claim and communication – conversely proportional, hardly anyone listens when hubris is out to put itself above things as a human being.
And conversely, proportionally, it is hardly reassuring that every human being only has a limited time to help devastate the planet – that cannot reassure either: as long as man declares himself the center of creation, he himself will hardly survive. Until then, one consolation remains: this recording, which opens the ears and the senses – to reconsider.
And perhaps to change course after all, the crew around Sebastien Amman shows us how. With the highest standards and nuanced precision. [With attention to detail]