Du schreibst wie Wagner sinkt

Du schreibst wie Wagner sinkt

Du schreibst wie Wagner sinkt – am Ohr der Literatur

Kaum ein Buch, das einem in Funk und Fernsehen nicht ohne Trailer präsentiert wird. Nicht ein Hörbuch denkbar ohne Hintergrundrauschen oder Soundcollage. Und doch. Auf der Suche nach den Vorlieben der Autorinnen stehe ich mit relativ leeren Händen da. Was hörte Hermann Hesse, frage ich mich, was Albert Camus. Was mag James Joyce gehört haben, was hört Peter Handke (Beatles und Rolling Stones …)? Von einigen ist es mir untergekommen. Thomas Bernhard zum Beispiel macht das Thema Musik explizit zu seinem Thema. Richard Powers macht es.

Thomas Mann machte es. (Im Streit mit Schoenberg) Adorno ging gleich mal auf den Jazz los. Bei Stefan Zweig bricht die Musik aus ihm heraus beim Hören des Messias von Händel. Max Frisch fühlte sich eher wie ein Banause an (zwischen Callas und Zappa), Teju Cole tritt regelmäßig mit Playlists in Erscheinung, und Nick Hornby macht High Fidelity draus:

Die Frage ließe sich umkehren. Welche Musikerinnen von welchen Büchern inspiriert sind – schließlich all die Literaturverfilmungen, in denen nichts ohne Musik auskommt. Musik, Sprache und Bild eine Wechselbeziehung eingehen, auch wenn kein Satz gelingen will – die Worte längst „gespielt“ sind, zu schweigen von all den Unterwanderungen der Musik durch Lyrik in jedem Popsong.

Auffällig viele Bücher machen die Musik zum Thema. Von Nick Hornby (High Fidelity) über Richard Powers (Der Klang der Zeit), Alissa Walser (Am Anfang war die Nacht Musik), Heinz Strunk (Fleisch ist mein Gemüse), Pascal Mercier (Lea),  Roddy Doyle (die Commitments), Robert Schneider (Schlafes Bruder) Frank Goosen (So viel Zeit) Thommie Bayer (Vier Arten die Liebe zu vergessen) Thomas Mann (Doktor Faustus, Der Zauberberg) Hans Joseph Ortheil (die Erfindung des Lebens). Relativ neu: Julian Barnes (Der Lärm der Zeit – Roman über Schostakowitsch).

Schließlich die Grenzgänger wie E.T.H. Hoffmann (Komponist und Autor), oder Philipp Christoph Kayser, Komponist und Schriftsteller – oder Ezra Pound, der gelegentlich auch komponierte …

wie soll man Paul Gerhardt, den bedeutenden Kirchenlieddichter, einordnen? Wie die Autoren, deren Sprache selbst Musik zu sein scheint, mir fallen Ernst Jandl oder Franz Joseph Czernin, Paul Valery oder Marcel Proust ein, auch Walter Benjamin oder wieder Thomas Bernhard, bei dem alles wie eine Sinfonische Dichtung klingt mit Pianissimo-Stellen sich steigernd zu einem Mezzoforte oder auf Krawall gebürstetem Bruckner mit Strawinksy-Anteilen.

(Einschub —- : Die Datenlage bezüglich Schriftstellerinnen ist auf meine Sicht nicht ausreichend, ich beziehe mich überwiegend auf Bücher von Autoren, die ich gelesen habe – im Bezug zur Musik. Dafür gibt es Ausreden: ich bin nicht autorisiert oder Wissens genug, diesen Mangel auszugleichen und kann aber anregen, sich dieses Themas zu bemächtigen. Einen Einstieg habe ich gefunden: musikinspirierte Virginia Woolf.

Diese Musik hat Virginia Woolf inspiriert WDR 3 TonArt

Ein weiterer Hinweis: zu Ingeborg Bachmann ergibt sich eine eigene Rezeptionsreihe zu Malina – als Hörspiel beim Radiohörer – oder als PDF: Musik und Dichtung im Spiegel einer Freundschaft – Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze : auch: Universal Music: Eine einzige Stunde frei sein.

und aber sicher: Elfriede Jelinek die Klavierspielerin – da Frau (Erika Kohu) von ihrer Mutter zum Klavierspielen gedrängt oder gedrillt wird.

O Haupt voll Blut und Wunden (ein Choral von Paul Gerhardt, in die Matthäus Passion übernommen von Joh. Seb. Bach)

Schließlich die Literaturformen, die in den Sprechgesang eingegangen sind vom Folk, über Rap bis hin zum Poetry Slam – du wirst kaum etwas hören, was nicht in irgendeiner Form Rhythmus, musikalischer Linie oder Intonation folgt.

Nicht umsonst wurde 2016 der Literaturnobelpreis an Bob Dylan als Musikerlyriker vergeben … und sicher gäbe es ein paar mehr, die für Sprache und Musik ausgezeichnet gehörten, bzw. durch ihren Erfolg beim Publikum schon ausgezeichnet sind: von David Bowie über Sophie Hunger zu den Eurythmics, Jennie Lennox oder von Sven Regener (eine WutredeElement of Crime) über Falco bis hin zu Ton Steine Scherben, Udo Lindenberg, fehlen noch die Liedermacherinnen von Konstantin Wecker bis Sarah Lesch. Ach ja, an Hans Dieter Hüsch möchte ich erinnern (Grenzgänger)!

(Als Kind des Beat und Rock n‘ Roll kann ich gut mit Bob Dylan bis Frank Zappa leben, somit auch mit Jack Kerouac (Ein Beatnick) – Wagner sinkt

Wagner sinkt – am Ohr der Literatur – High Fidelity
Wagner sinkt – am Ohr der Literatur – Jack Kerouac, Jazz and Prosa

oder mit Thomas Pynchon (Alles scheint erlaubt, auch wenn es bisweilen überfordert), bekomme trotzdem Schwierigkeiten mit Büchern und Texten, in denen kaum mehr etwas gewagt wird (Was im Rock n‘ Roll, im Pop, im Jazz, in der neuen Musik erlaubt ist, scheint in der Literatur seltsamerweise verpönt und wird abgekanzelt: als Trash-Vorwurf, als schiefe Komposition, als unrhyhtmisches oder lethargisches Lemanto – das ratlose Zuhören … stattdessen häufig Texte, die über viele hundert Seiten einem ganz bestimmten Sound folgen (gibt es den, kann es ihn geben?), als unterläge dem ein Klangteppich, eine einfache Komposition, eine durchgängige Melodie.

[Ausflug: Michael Maar, Die Schlange im Wolfspelz, das Geheimnis großer Literatur, Rowohlt 2020 – erstes Kapitel über Stilfragen: ohne Musiksprache oder Sprachmusik kein Stil, keine Form – darin Peter Hacks: “Es gibt keine Sprachmelodie, die nicht zunächst Gedankenmelodie wäre. Die Musik, die in einem Gedicht ist, ist ein Musizieren mt Begriffen, wenn das nicht wäre, könnte man ja gleich Geige spielen.

Anders: warum nicht gleich Geige spielen, wenn du Gedanken- oder Sprachmelodien erzeugen willst.

Einschub: Die Musik in „Ulysses“ von James Joyce

SWR Die Musik in „Ulysses“ von James Joyce

Sprachmelodie als Methode? Warum? Für wen? Ist das nicht tradiert aus einer Zeit, da Kunst und Kultur höfisch waren und Unterhaltungshaltung zum Hofe? Um sich von anderem abzuheben. Um als Literaturkompositiin anerkannt zu werden. Es muss und musste immer gleich auch ingeniös wirken? Wer hat diese Ansprüche noch? (Exkurs-Frage. Ich kann mich erinnern, wie man einmal fast inflationär mit dem Begriff sprachökonomisch motiviert um sich warf, gemeint war eine Vorliebe für kurz prägnantes oder lakonisches Schreiben. Im Sinn eines Popsongs – Variante: eine Geschichte, die du nicht auf 200 Seiten dargestellt bekommst, schaffst du auch nicht auf 400 Seiten?) Im Umkehrschluss: Wie viele Romane beinhaltet James Joyce Ulysses? Komponieren wir die große Sinfonie oder kompostieren wir den 3 Minuten Popsong?)

Komposition. Sound. Klang. Spannungsbogen. Phrasierung. Steigerung. Ablassen der Dynamik. Hören. Sehen. Sehen. Hören. Erste Voraussetzungen für Arrangement, Komposition und „innere Stimmigkeit“? Schau dem Ohr in die Augen. Durchdringe das Konzept. Entwickle Vorlieben?! Versuche zu durchdringen, was dich durchdringt?! Führe hinters Licht, was dich verführt? Ich höre/lese häufig, es habe da jemand einen eigenen Sound, eine eigene Stimme. Ein Anspruch aus der Musik der Literatur zugeteilt.

Ein Buch (!) in Händen, das sich nach musikalischen Regeln verhält, von Vivaldi sein könnte, aber von Ludger Baumgarten stammt, in dem viele Vögel umherfliegen als bunte Noten! Habe ich nach wenigen Takten die Machart „durchschaut“, es fehlen dem Vögelchen die Worte, wenn dem Text die Inhalte davonfliegen … es sich im literarischen Text nur um „eine Komposition“ handelt, es erkaltet die Musik in der Sprache. Es sei denn, es sei … Variation in der Sprachmelodie ? Haben wir demnach im Grundgedanken, Musik sei der Literatur wesensverwandt, nicht vielmehr eine Kontroverse?

Einschub: Musik in der Literatur – Ganz aus Sprache gemacht

Von Edelgard Abenstein · 30.01.2022 DLF Sendung aus 2009 Musik ist Modell für die Literatur

Kannst du komponieren? Du bist von einem Intro beseelt und willst das Ende wissen? Wie viele Minuten gibst du einem Musikstück? Wie viele Stunden einem Buch? Du kommst von ganzen Tönen zu den Triolen. Du kommst von den schnellgesetzten zu den hingeworfenen, du bist im freien Fall des Klangs, auch Sound genannt –  wenn deine Komposition nicht sitzt, atmet oder steht. Die Frage nach der Harmonie sich einem Flötisten anders stellt als einem Tubisten. Siehe da: All das lässt sich übertragen von der Sphäre zum Klang, von der Melodie zum Thema. Von der inneren Ruhe zur Unruhe … im Text. Hast du die Bruchteile von Noten gehört, die ich gerade höre?

[Erst Komponieren dann Musizieren? Oder darf ich Musizieren und die Komposition folgt dem Arrangement? Wie häufig triffst du Leute, die etwas zu erzählen wissen, es aber nicht aufschreiben können. Wie häufig triffst du Musikerinnen, die sich einfach zusammensetzen und erst nach Stunden voneinander lassen können. Wie häufig hörtest du jemanden etwas lesen und konntest nach wenigen Sätzen nicht mehr folgen. Warum scheint es, als könnten nicht studierte Musiker mehr zum Besten geben als Studierte schreiben? Gibt es Muster? Gibt es so etwas wie einen Besten Ton?]

Will einen Weg finden, einen Ausweg. Will nicht über Theorie und Komposition sprechen, sondern über Vorliebe und Stimmung oder Atmosphäre. Gibt es eine Romanze ohne Worte? Gibt es so etwas wie ein musikalisches Dogma? Gibt es etwa einen Kult um Technik (Anschlag, Geschwindigkeit, Beat und Phrasierung), will sagen: sind wir nicht doch und noch immer romantisch veranlagt – ingeniös gefährdet?

Welche Musik meinst du, wenn du von Sprachmusik sprichst, schreibst oder dichtest?

Zum Beispiel: was für Musik hören die Autorinnen aus meinem Bücherregal? [Wieso interessiert mich das plötzlich? Nun, mich wundert: Wie sich Musikerinnen äußern, bewegen, darstellen, experimentell, irritierend, meinetwegen auch „wie abgedreht“ wie vorsichtig introvertiert und lieblich … fast ängstlich – wenn ich das soziologisch betrachten dürfte, könnte ich behaupten: es wird schnell sogar regressiv wie be- und unterdrückend … mit dieser Art Softdown bekomme ich literarisch keinen Beat vor den Fuß. Ich gehe lieber heulen, weinen, sterben.

Oder um Mitleid flehen. Die empathischen Wellen beim Hören von Johann Sebastian Bach, dagegen die Zornestürme bei Thomas Bernhard – andererseits: Poesie klingt weichgezeichnet, Musik in der Sprache dämpft Sprache – wer dagegen mit dem Hammer durchs Haus zieht, verliert nicht nur Publikum.

Castorfs Nibelungenlied vom blechernen Schrei

Wagner sinkt – Debussy
Wagner sinkt – Paul Gerhardt

Pass auf, ich hab’s versucht: Eine Schriftstellerinnenplaylist: Hättest du zum Beispiel gedacht, dass Max Frisch Frank Zappa hört? Aber auch Maria Callas?!  Habe ich aufgeschnappt: Hermann Hesse mochte Telemann. Thomas Bernhard hörte Debussys Pelleas Mellisande beim Verfassen der Auslöschung. Mulmig wird mir von der Vorstellung, junge Autorinnen hören nur Villagers … oder … siehst du ?! Was hätte ich gewonnen, wenn ich wüsste, was wer hört. Wahrscheinlich ein Vorurteil / Am Ende wollen Schreibende ihren Geschmack dem ihrer Rezipienten anpassen … ich glaub‘, manche versuchen es. (und schreiben Heavy)

Ich wollte wissen, was Schriftstellerinnen meiner Bibliothek so hören in ihrer freien Zeit, in ihrer Reisezeit, in ihrer Schreibzeit. Das Internet hat nicht viel verraten (bisher), mir aber einige Möglichkeiten angeboten. Daraus zu schließen, sie hörten weniger als sie sprechen und schreiben … „man könnte sagen: der vorgestellte Klang sei in einem andern Raum, als der gehörte“ (Wittgenstein)

Demnach: Es kann sich hier nur um einen Anriss, einen Aufriss, einen Ansatz handeln, für manchen vielleicht einen Türöffner, für andere eine Art Spiegel, für mich eine Fokussierung: die Bücher noch einmal lesen und nach ihrem musikalischen Bezug abklopfen. – Und herauslesen ob Beethoven, Bach oder Zappa Pate standen. Somit haben wir ein weites Feld, nicht bestellt.

Habe noch folgende Hinweise gefunden:

Sahrah Fedaku: Musik in Literatur und Poetik des Modernism: Lowell, Pound, Woolf

von Meike Reher: Die Darstellung von Musik im zeitgenössischen englischen und amerikanischen …

Tobias Robert Klein in Verbindung mit Asmus Trautsch

Klang und Musik bei Walter Benjamin
Wagner sinkt Lou Reed

PS: Der Artikel ließe sich gewiss in unsere Zeit überführen oder fortführen und mit aktuellen Autoren und Autorinnen anreichern …

Zusammenfassung für Eilige: Autor fragt sich, welchen Einfluss Musik auf die Schreibarbeit hat und würde gern eine Schriftstellerplaylist zusammenstellen. Das ist ihm nicht geglückt.

—– Nachträge Artikelsammlung du schreibst wie Wgner sinkt —-

Thomas Bernhard Thomas Bernhards Musik von Wieland Elfferding;

Bedeutung von Musik in Thomas Bernhards dramatischen Werken von Manuela Kloibmüller

Thomas Mann, der Romantiker Deutschlandfunk

Bertold Brecht und die Musik in der Zeit zu Fritz Hennenberg: „Dessau-Brecht – musikalische Arbeiten“, herausgegeben von der Deutschen Akademie der Künste; Henschel-Verlag Berlin (Ost); 34,– DM.

Hanns Joseph Ortheil, vom Vergnügen Mozart zu hören in Literaturkritik

George Steiner, Gespräch mit George Steiner in der Berliner Zeitung:

Es gibt eine Spannung zwischen Wort und Musik, die von Anfang an, schon in der griechischen Mythologie, eine tragische und frustrierte Spannung ist. Die Sprache ist immer eifersüchtig auf die Musik, war es immer. In der Sprache herrschen die Fesseln der Logik. Musik dagegen kennt die Polyphonie, Musik kann mit der Zeit spielen, kann die Zeit umdrehen, im Kanon, im Kontrapunkt. Die Sprache kann es nicht.

Jürg Laederach, über seine Grenzgänge zwischen Sprache und Musik in der NZZ“ target=“_blank“ rel=“noreferrer noopener“>Jürg Laederach über seine Grenzgänge zwischen Sprache und Musik

Aber ich kann da nicht jedes Mal eine Kant-Abhandlung neu schreiben, wenn ich etwas in Musik mache. Lässt sich das mit Schreiben vergleichen? Was Musik ist, weiß man ja nie genau. Ich denke, dass man mehr oder weniger die Spannweite seiner eigenen Emotionen ablegt oder durchs Instrument hindurchjagt. Das ist sehr interessant, aber es ist spontaner als bei der Literatur.

Der umgekehrte Weg: Franz Liszt intoniert Heinrich Heine

Wagner sinkt 02
Du schreibst wie Wagner sinkt

Wagner sinkt – Albert Camus Alissa Walser Annie Lennox Anton Bruckner Beatles Bertold Brecht Bob Dylan (voc) Bodo Morshäuser Claude Debussy David Bowie (voc) E.T.H. Hoffmann Element of Crime Ernst Jandl Eurythmics Falco (voc)Frank Goosen Frank Zappa (g) Franz Joseph Czernin

Georg Philipp Telemann Hans Dieter Hüsch Heinrich Heine Heinz Strunk Hermann Hesse Igor Strawinsky Ingeborg Bachmann James Joyce Johann Sebastian Bach Julian Barnes Konstantin Wecker Literatur und Musik Lou Reed (voc) Marcel Proust Maria Callas (voc) – Wagner sinkt

Max Frisch Michael Maar Nick Hornby Pascal Mercier Paul Gerhardt Paul Valery Peter Hacks Peter Handke Philipp Christoph Kayser Richard Powers Robert Schneider Roddy Doyle Rolling Stones (band) Sarah Lesch Sophie Hunger Stefan Zweig Sven Regener Teju Cole Thomas Bernhard Thomas Mann Thomas Pynchon Ton Steine Scherben Udo Lindenberg (voc) Virginia Woolf Walter Benjamin