Heike Johenning Fassadendämmerung
Heike Johenning Fassadendämmerung
Mit dem Jugendstil bricht eine Fassadendämmerung an im Berlin des neuen 20. Jahrhunderts. Der preußische Historismus weicht einer neuen Ästhetik: Im Stadtbild tauchen Fassaden mit farbiger Pflanzenornamentik, rundgeführten Erkern und mythischen Fratzen auf. Für eine Kurze Zeit blühen die Fassaden auf, bevor viele von ihnen durch Krieg und Entstuckung verschwinden. Entdecken Sie mehr als 70 erhaltene Gebäude, die typisch sind für den Berliner Jugendstil.
Ergänzt wird das Buch durch zwei Spaziergänge. Sie laden zu einer Zeitreise in eine Epoche ein, die Julius Meier-Graefe als „Morgenrot der Moderne“ bezeichnete.
Heike Johenning Fassadendämmerung
Aus dem unmittelbaren Freundeskreis eine ebenso unmittelbare Empfehlung – ein Buch über den Jugendstil in Berlin – Jugendstil oder Art Nouveau ist lt. Wiki eine kunstgeschichtliche Epoche an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Dem Jugendstil zuzuordnende Strömungen sind der Reformstil (nach der Reformbewegung), der Secessionsstil (nach der Wiener Secession), Modernisme in Katalonien, in der Schweiz Style Sapin und in den USA Tiffany Style. Neben dem im Französischen, Englischen und Italienischen dominierenden Ausdruck Art nouveau wird im Englischen auch Modern Style und im Italienischen Stile Floreale verwendet. Zeitlich gehört der Jugendstil zum Fin de Siècle.
Auch eine kleine Reminiszenz an den Berliner Jugendstil findest du im Artikel – nicht aber, was Heike Johenning hier unter dem Titel Fassadendämmerung zusammengetragen hat.
Zitat des Osteuropahistorikers und Publizisten Karl Schlögel:
„Jugendstil ist Zerbrechlichkeit und Stärke, kraftvolles Ausholen und Reflexivität. Er gehört zu den glücklichsten Momenten der jüngeren europäischen Geschichte.“
Wir bekommen im Vorwort einen prägnanten Überblick über diese sehr kurze Epoche von 1890 bis 1910, ein Stil mit der Bezeichnung „Jugend“ als Synonym für „Hoffnung, Leben, Farbe und Licht“. Das bringt Ornament, Flora und Fabel- wie Tierwesen auf die Fassaden, nicht selten auch als Schmuck und Geste der Übertreibung gesehen, was zu ihrem Abgesang beiträgt, so ist der Titel Fassadendämmerung zu verstehen: wenn ein Spiel mit Linien und Formen dem Kratzputz geopfert wird aus ideologischer Sicht heraus von Adolf Loos in den Zwanzigern bis hin zur Entstuckung durch die Moderne und später auch in den Fünfzigern Ost wie West –
„Fort mit Schnörkel, Stuck und Schaden! Glatt baut man die Hausfassaden. Nächstens baut man Häuser bloß ganz und gar fassadenlos.“ Michael Spoliansky, Lied anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Neue Sachlichkeit“
Ganze Straßenzüge wurden dem Kratzputz geopfert – damit die Herren Parteifunktionäre auf dem Weg in ihr Wandlitz nicht dem Kitsch der von ihnen als überwunden empfundenen feudalen Zeiten ausgesetzt wurden. Spät erst, fast zu spät bekommen die Häuser ihr Gesicht zurück anlässlich der behutsameren Stadterneuerung in den Achtzigern und nach der Wende 89/90 – der Entstuckung folgt die Re-Bestuckung.
Heike Johenning nutzte die Corona-Zeit, sich in Berlin umzusehen und hat eine Menge an Bildmaterial zusammengetragen zu all diesen Objekten und Häusern der Stadt. Von Türgriffen, Fensterprofilen, Girlanden über Fenstern und Flamingos im Norden oder Rundbogenfenster und Weintrauben im Osten, Hase und Igel oder Sonnenblumen und Rosen, ja selbst ein Rasenmäher findet seinen Weg auf die Fassade – sichtbar wird das alles in einem mit viel Liebe zum Detail, zu den Episoden, zu Geschichten und Erzählungen ausgestalteten Lese- wie Bildband, gerade recht zu dieser Jahreszeit und seiner grau melierten Stadt im November.
Was das mit Jazz zu tun hat? Nun – Leg dir die Cool-Jazzplatten auf und entdecke die Spielwiesen der Umgestaltungen von Linie zur Form oder von der Form zur Linie zurück bei Miles Davis in Sketches of Spain bis hin zur Überformung im Free oder dem Versuch es wieder zurückzunehmen im Cool Bop – das ging schon immer parallel – Außen- zu Innenraum, Form zu Funktion und Komposition zu Aussage, und selbst wo nichts ist im Dauerton, entstehen Blütenträume.
Das Buch sei allen nahegelegt, die sich Augen, Herz und Sinne nicht verschließen und lässt mit jeder Episode zu jedem der Bilder ein eigenes Farbspektrum entstehen. Ganz etwas Besonderes, dieses Buch. Vielen Dank von hier nach dort und wünsche allen einen erweiterten Blick auf diese Stadt.
Jugendstil – im Sinn von „Hoffnung, Leben, Farbe und Licht“
Referenz : Heike Maria Johenning Der dynamische Geist ist die Sprache der Zukunft