Playing With Beethoven by Carlos Bica

Carlos Bica Playing with Beethoven

Carlos Bica Playing with Beethoven

Carlos Bica

23.06.2023
Playing with Beethoven

Carlos Bica double bass
Daniel Erdmann tenor and soprano saxophones
João Barradas accordion
Dj Illvibe turntables

Eine Aufnahme, die sich der Bewertbarkeit entzieht – es wird nicht allen behagen, wie Beethoven als Chiffre genommen wird, ihn eben nicht zu dechiffrieren, nicht zu überhöhen, eher nicht zu hinterfragen, sondern ihn in seinen Fragmenten und kleinsten Anteilen anzunehmen und mit ihm zu spielen.

Im Anfang hast du diesen einen typischen Beethoven. Ein Akkord, dramatisch gesetzt, der große Wumms. In Stück 1 – Leonore. Das zieht sich durch Beethovens Werk. Mit allem, was das Orchester bietet, hinein in den einen ungestümen Akkord – kannst du dir in fast allen Ouvertüren und Sinfonien anhören – so eröffnen Bica, Erdmann und Barradas mit Dj Illvibe, dem Sohn von Alexander von Schlippenbach, auch.

Zwischenzeitlich knistert es, von Band, von Tape, als Scratch – das kennen wir aus der Aufnahme I Am the Escaped One aus dem Jahr 2019, das Scratchen und Samplen erfährt einen vorläufigen Höhepunkt in Wo Dein Sanfter Flügel Weil. Die Bezüge zur Neunten Sinfonie sind erkennbar – die aber werden fragmentiert – in die Ferne projiziert – wie in einem Film über ein vertrocknetes Land – in kleinen Teilen quasi die ganze Romantik von den Vorzeichen ihres Idealismus befreit.

Stücke wie Tiny Change oder Kids see Ghosts entleihen ihre Geräusche dem Jetzt, dem Spielplatz unserer Zeit – Beethoven selbst wird ebenfalls zum Spielplatz. Zu einer Musik, der man sich ironisch zuwendet, wie in dem Trailer auf Youtube zu sehen bis hin zur Dekonstruktion in Wo Dein Sanfter Flügel Weil.

Beethoven kümmerte sich zeitlebens um seine beiden jüngeren Brüder, auch in Wien – das ist Thema von Für Nikolaus Johann van Beethoven und gibt der Aufnahme ihren Ernst an der Auseinandersetzung mit Beethoven.

Niemand kann Beethoven nicht ernst nehmen … auch den jungen Beethoven nicht? Das Ritterballett ist so ein Frühwerk und zeigt aber schon deutlich die erzählerische Kraft des späteren Beethoven, hier spielen Bica, Erdmann und Barradas die Romanze aus dem siebenteiligen Stück. (Link zum Beethovenhaus Bonn mit Hörbeispiel)

In Per Aspera Ad Astra (lat. „durch das Raue zu den Sternen“) werden die Bezüge zur 5. Sinfonie deutlich – die wohl berühmteste Einführung der Musikgeschichte, Ba Ba Ba BAAAM (Rock over Beethoven – The Beatles, E.L.O, Chuck Berry) – Bica & Co nehmen sich den dritten Satz Allegro vor – eine Variation auf den Fanfarenschmiss aus dem ersten Satz – und eine Herausforderung an die Kontrabassabteilung – sie setzen das fast schon werkgetreu um, klassisch gesetzt und interpretiert – erkennbare Melodieführung variiert in Tempo und Lautstärke. Saxophon, Akkordeon und Kontrabass spielen zeitnah – bis zur nächsten Dekonstruktion in der zweiten Hälfte, da fliegt so einiges aus der Kurve und wird auch nicht mehr eingesammelt.

Euch werde Lohn in bessern Welten – geht auf die Sinfonie 7 Satz II zurück, obwohl der Text auf Fidelio verweist: alter Fußballertrick, links antäuschen, rechts vorbeiziehen. Bei Bica geht das Logorrhöe vom Sampling aus – und macht das Stück für die mit dem Wohlfühlkissen zur Horrorgeschichte. Nichts da mit Romantik und Selbstleid, einfach nur Weltenschichten sichten. Desgleichen in Kids See Ghosts Sometimes – die Geister die ich rief. Chamber-Beethoven gescratched – mit Loch in der Platte.

Julie – das ist die Mondscheinsonate – der Zugang zu Beethoven ist inzwischen derart dekonstruiert, es interagieren nur noch Fußnoten mit verlassenen Notenlinien irgendwo zwischen Scratsch, Babystimme und Crescendo – als hätte der Herr van Beethoven Schluckauf, wir wissen um seine Alkoholprobleme und dass er schließlich an Leberzirrhose verstarb.

Krönender Abschluss das Liebeslied mit einer Kurzintonation von Für Elise nach großem Tamtam um die ersten zwei Töne – wer hat als Kind nicht stundenlang genau die zwei Töne klingen lassen – und wollte Für Elise beherrschen, dieser Ohrwurm mit einer so betäubenden Eindringlichkeit, daran ändert nun auch die Mittelpassage nichts – ein Kinderlied und als Liebeslied ungefähr so herzzerreißend wie ein Lastzug voller roter Rosen.

Mit Playing with Beethoven entstehen etliche Parallelen zum Spielen in der Musik von Beethoven, da reicht es wohl nicht, sich über einen Kratzer hier, einen Schnitzer dort oder über all die Brüche zu echauffieren, betrachtet allein vor dem Hintergrund der Umtriebigkeit und des Pomp bei Beethoven selbst. Es stehen Ironie und Spielwitz Pate, es ist bei allem Ernst, aller Wucht und Dramaturgie in Beethovens Musik eben auch ein Spielen mit Beethoven.

Es sind weniger Reminiszenzen oder kritische Übertreibungen zum Musikwerk Beethovens an sich, es entsteht vielmehr ein Zitatenwerk über Zitate, was auch eine Reflexionsebene auf Rezeptionen unserer Zeit herstellt – oder einen Blick wirft auf die Arbeiten der anderen – eine Liste der Beethoven-Interpreten im Jazz würde diesem Artikel eine eigene Fliehkraft mitgeben und niemand hätte mehr einen Kompass zur Hand.

Die Wichtigkeit Beethovens wird humorvoll weggeblinzelt. Playing with Beethoven als großer Spaß an Beethoven, mit dann doch wieder ernstem Gesicht?

So lässt sich der sonst in der Philharmonie spielende Herr van Beethoven auch auf dem Plattenteller scratchen und aus seiner Düsternis oder Not befreien, es ist scheinbar ein Leichtes, ihn mit ein paar Ton- und Sprachspuren zu drehen, zu wenden und in ein anderes Konzertlicht zu überführen oder mit in den Alltag zu nehmen zum S-Bahn-Fahren oder Grafitti-Sprühen – ein Wilder Beethoven entsteht ganz wie seine Haare und dass er voller Grimm im sanften Flügel weil.

Wenn Beethoven der Toningenieur war für Struktur und Raum und über meistbietende Verlage zum wohlhabendsten Künstler seiner Zeit avancierte, würde er heute wahrscheinlich Bica, Erdmann, Barradas und ihren DJ zu sich rufen und sie fragen, ob sie wissen, wo Schlingensief abgeblieben ist, er habe in seinem Himmel so weit keinen Schlingensief gesehen und möchte ein Stück über ihn schreiben.

Für die anderen, also die mit dem Wohlfühlkissen, gilt nach wie vor. Auch in der Philharmonie gibt es Beethoven.

Conversa
Maria João

Conversa
Maria João
1986

Carlos Bica & Azul - "Azul" feat. Ray Anderson and Maria João 
1996

Carlos Bica & Azul – „Azul“ feat. Ray Anderson and Maria João
1996

The Spectrum Tapes Vol. I
von Roman Stolyar

Carlos Bica & Azul
twist
2013

I Am the Escaped One
von Carlos Bica | Daniel Erdmann | Dj Illvibe
Carlos Bica Playing with Beethoven

I Am the Escaped One
2019

Für die Sinfonischen Arbeiten empfehle ich Beethoven:
The Symphonies Gewandhausorchester, Riccardo Chailly

Carlos Bica Playing with Beethoven English Version

A recording that defies evaluation – not everyone will like the way Beethoven is taken as a cipher, not to decipher him, not to exaggerate him, rather not to question him, but to accept him in his fragments and smallest parts and to play with him.

In the beginning you have this one typical Beethoven. One chord, dramatically set, the big boom. In piece 1 – Leonore. That runs through Beethoven’s work. With everything the orchestra offers, into that one impetuous chord – you can listen to it in almost all overtures and symphonies – that’s how Bica, Erdmann and Barradas open with Dj Illvibe, the son of Alexander von Schlippenbach, too.

In the meantime it crackles, from tape, as scratch – we know this from the recording I Am the Escaped One from 2019, the scratching and sampling experiences a temporary climax in Wo Dein Sanfter Flügel Weil. The references to the Ninth Symphony are recognizable – but they are fragmented – projected into the distance – like in a film about a withered land – in small parts virtually the whole romanticism freed from the omens of its idealism.

Pieces like Tiny Change or Kids see Ghosts borrow their sounds from the now, the playground of our time – Beethoven himself also becomes a playground. To a music that is turned to ironically, as seen in the trailer on Youtube up to the deconstruction in Wo Dein Sanfter Flügel Weil.

Beethoven cared for his two younger brothers throughout his life, even in Vienna – this is the subject of Für Nikolaus Johann van Beethoven and gives the recording its seriousness about Beethoven.

No one can not take Beethoven seriously … not even the young Beethoven? The Das Ritterballett is such an early work, but it already clearly shows the narrative power of the later Beethoven; here Bica, Erdmann and Barradas play the Romance from the seven-part piece.  (Link to Beethovenhaus Bonn with Examples)

In Per Aspera Ad Astra (Latin for „through the rough to the stars“), the references to the 5th Symphony are clear – probably the most famous introduction in music history, Ba Ba Ba BAAAM (Rock over Beethoven – The Beatles, E.L.O., Chuck Berry) – Bica & Co take on the third movement Allegro – a variation on the fanfare from the first movement – and a challenge to the double bass section – they do it almost true to the work, classically set and interpreted – recognizable melodic line varies in tempo and volume. Saxophone, accordion and double bass play in time – until the next deconstruction in the second half, where some things fly out of the curve and are not collected anymore.

Euch werde Lohn in bessern Welten – goes back to Symphony 7 movement II, although the text refers to Fidelio: old soccer trick, feint left, pass right. In Bica’s case, logorrhea emanates from the sampling – and turns the piece into a horror story for those with the feel-good pillow. Nothing there with romance and self-pity, just sifting layers of worlds. Likewise in Kids See Ghosts Sometimes – the ghosts I called. Chamber-Beethoven scratched – with a hole in the record.

Julie – that’s the Moonlight Sonata – the approach to Beethoven is now so deconstructed, only footnotes interact with abandoned staves somewhere between scratch, baby voice and crescendo – as if Mr. van Beethoven had hiccups, we know about his alcohol problems and that he finally died of cirrhosis of the liver.

Crowning conclusion the love song with a short intonation of Für Elise after big ballyhoo about the first two notes – who did not let sound exactly the two notes for hours as a child – and wanted to master Für Elise, this earworm with such a numbing urgency, now the middle passage does not change anything – a children’s song and as a love song about as heartbreaking as a juggernaut full of red roses.

Playing with Beethoven brings up quite a few parallels to playing in Beethoven’s music; it’s probably not enough to get upset about a scratch here, a blunder there, or all the breaks, considered solely against the backdrop of the bustle and pomp of Beethoven himself. It is irony and playfulness that are the inspiration; despite all the seriousness, all the force and dramaturgy in Beethoven’s music, it is also a playing with Beethoven.

It is not so much reminiscences or critical exaggerations of Beethoven’s musical works per se, but rather a work of quotations about quotations, which also creates a level of reflection on receptions of our time – or casts a glance at the works of others – a list of Beethoven interpreters in jazz would give this article its own centrifugal force and no one would have a compass at hand anymore.

The importance of Beethoven is humorously winked away. Playing with Beethoven as great fun with Beethoven, with then again a serious face?

Thus, Mr. van Beethoven, who normally plays in the Philharmonic Hall, can also be scratched on the turntable and freed from his gloom or distress, it is apparently easy to turn him with a few sound and speech tracks, to turn him around and transfer him to another concert light or to take him into everyday life for riding the suburban train or spraying graffiti – a wild Beethoven emerges just like his hair and that he is full of fury in the gentle grand piano because.

If Beethoven was the sound engineer for structure and space and advanced to the wealthiest artist of his time via highest-bidding publishers, today he would probably call Bica, Erdmann, Barradas and their DJ to him and ask them if they know where Schlingensief has gone, he has not seen any Schlingensief in his heaven so far and would like to write a piece about him.

For the others, i.e. those with the feel-good cushion, the same still applies. There is also Beethoven in the Philharmonie.

Jazz Musicians _B