Jazz Alben Favourites
Stadtleben ohne Jazz ab 1983 jazz essentials
du willst nicht ernsthaft bezweifeln, dass es neben George Michael, The Clash und Bronski Beat oder Alphaville und Matt Bianco noch andere hörenswerte Aufnahmen gab, 1984, Aufbruchsjahr, und Frankie Goes to Hollywood. Ja, Killing Joke, Clare Fischer, sogar Leonard Cohen und Wynton wie Branford Marsalis, welche dieser Aufnahmen lief rauf und runter – da die innere Stimme noch nicht mit der äußeren überein kommt. Deep Purple doch nicht oder U2 und Queen – ??? – drei Fragezeichen … nimm dir das Boot von Klaus Doldinger … eine Metapher für’s Absaufen – neben Echo & The Bunnyman.
Da die ersten Erfahrungen sich türmen, die Diskrepanz zwischen Wohlklang aus den Lautsprechern und der Dissonanz der eigenen Wahrnehmung sich vergrößert, das Leben beginnt sich zu spreizen zwischen Naherfahrung eigenen Jungseins und dem Todeswunsch alter Menschen, die du in der Geronto-Psychiatrie betreust. Konzertbesuche: Maria João (Quinteto Maria João 1983), Dire Straits (Brothers in Arms 1985) und Sting (Bring on the Night 1986) – Diskothek in Bochum.
Es fasst mich alles an, ich entweiche. Zwischen all dem der Klarspüler Pat Metheny, dieser unaufhaltsame Optimist, ein Album in Weiß, es reicht der Name, alles rollt. Und gleich auch steigt er mit David Bowie in den Ring (This is not America. Sha La la la la) – For this is not the miracle)
Auch Miles Davis versucht einen Hit nach dem anderen, spielt nicht mehr den Erneuerer, sondern trabt brav mit Gefälligkeitsgesten hinter allen her, nicht ohne einen Fan nach dem anderen vor den Kopf zu trompeten, dass er sehr wandlungsfähig sei. Eine Aufnahme aber überragt alle anderen in 1985 – so geht Understatement: Working Week – sie hauen eine Aufnahme raus, und du hörst nie wieder etwas von ihnen. (Anderes Wort für: dein Interesse ist mit der einen Aufnahme gedeckt) Reingelegt: Inner City Blues ist ein Song von Marvin Gaye (1971) – hör dir den Unterschied an, das Original ist um Längen voraus. Die Sampler also. Okay, geschenkt.
Die dunklen Jahre – das eigene Repertoire speist sich aus dem, was du kennst, du hörst kein Radio, kennst keine Jazzliebhaber, keine Musiker, nur den eigenen dürftigen Alltag und zwei Typen, die genauso Type sind wie du, der eine drogenabhängig, der andere suizidgefährdet oder sehnsüchtig nach seinem vorzeitigen Abgang, beide wollen nicht älter als 30 Jahre werden, beide haben von Musik keine Ahnung, der eine hört alles, was punkig klingt, der andere tut so, als sei er Mendelssohns Urenkel.
So kriegst du von der Musik dieser Jahre nichts mit, außer dass du verloren vor dem Ratinger Hof herumlümmelst und im Zack auf Session-Suche gehst, während sie keine zwei Straßenzüge weiter die RAF hochnehmen. Erst später entdeckst du, was dir alles entgangen ist. Und schleppst das mit nach Berlin. Killing Joke zum Beispiel. Zwei Aufnahmen bleiben im Gedächtnis. Simply Red und Pete Townsend, immer freitags geht es sich besaufen in der Altstadt – mit dem Düsseldorfer Eishockey Freak nennen wir ihn Ralf. Wie Sie sehen, Musik erschließt sich nicht jedem Alter. Bestes Album 1985 ? Keine Ahnung. Für 1986 hast du die Bass Desires von Marc Johnson ausfindig gemacht, vielleicht zehn Jahre später.
Die Bilder oder Cover der Aufnahmen sind Anhaltspunkte geworden, obwohl doch gerade in ihnen ein ungleich höherer Mehrwert zu vermuten ist, sie werden zu Ikonen deiner Wahrnehmung und wollen widerständig bleiben vor dem Hintergrund der Alltagsuntauglichkeit, du kämpfst dich, inzwischen in Berlin, durch die grauen Flure der FU mit weiteren 15.000 Germanistinnen, 15.100 oder 14.999, der 15.tausendste bist du und fummelst dich an Second-Hand-Langspielplatten-Auslagen entlang.
Du kaufst dir die in Düsseldorf verschenkte We want Miles noch einmal. Weil du sie kennst. Du kennst kaum etwas von dem, was da ausgelegt ist, wirst dich aber erinnern: Ahmad Jamal, Rio Reiser, und: das erste Mal gesichtet: die Einstürzenden Neubauten. Passend zum Studium. Die Postmoderne gewinnt die Welt als Zitatenschatz. Ein bunter Mix. Die Antagonisten heißen Moderne und Tradition und gehen aufeinander los, während der Skatgesang in Form von Hip Hop seinen kommerziellen Durchbruch nimmt.
Dem stehen gegenüber: brennende Betten (Midnight Oil), alles macht Sinn (Pet Shop Boys) und pump dich auf (M/A/R/R/S), in Berlin angekommen zu sein heißt vor allem in der Dunkelheit unterwegs bleiben. Der Jazz? – Fehlanzeige. (Ich sehe die üblichen Verdächtigen von Dave Holland (The Razor’s Edge), über Muhal Richard Abrams (Colors in Thirty Third), Charlie Haden (Quartet West), Mulgrew Miller (Wingspan) – aber nicht wirklich DIE EINE herausragende Aufnahme)
Streng gesehen: dem Jazz ging es nicht gut. (Könnte sein, dass The Jazz is Dead in den Achtzigern seinen Anfang nahm – in der Nachtszene zumindest begegnetest du KEINEM Jazzfreund, KEINEM. Andere Szene sozusagen.)
Bezugsquellen sind ein Plattenladen, die Frankfurter Rundschau am Samstag (der Nachbar) und die Süddeutsche Zeitung (Studentenabo), Radio wird noch immer nicht gehört und die Kommilitonen fahren auf Pet Shop Boys ab, im Kumpelnest laufen Barry White neben Carmina Burana, in die Oper geht es zu Carmina Burana, bald hat jeder die Karl Orff Aufnahme Carmina Burana.
Wer dagegen Einfach Kompliziert sagt, meint Bernhard Minetti im Stück von Thomas Bernhard, aufgeführt im Schillertheater vor leeren Reihen, später ein ähnliches Schauspiel im Schlossparktheater – leere Reihen, dafür im Kumpelnest die Boheme, die von Kunst und Kultur ausgestopfte Boheme mit direktem Draht in die Rundfunkanstalten und an den Plattenteller. (Who is Who und wer ist In wer Out) – das wurde geleugnet, trotzdem praktiziert, inside, outside – guck dir an, wer sich extrapoliert, wer sich intellektuell nennt und wer anderen unterstellt, nur hübsch und opportunistisch zu sein.
Und liebten aber Neneh Cherry. (+Madonna und Kyle Minogue) Es fehlen noch Handke, Goldt, Duras und die eigenen Texte (die, wie wir inzwischen wissen, aneinandergereihte Buchstaben waren, Freejazz sozusagen oder vielleicht für Erwartungsfrohe im Graus des Grauens und Grusels).
Der Besuch der Berliner Festspiele ergibt: Helle Menschen, weiße Männer, in beigen weißen sehr hellen Anzügen, eine Akademiker-Szene, die Jazz für schick hält und sich selbst auch, die Musik ist eher selbstgefälliges Instrumente Touchieren, man hat es auf alle Sinne abgesehen, auf Nase, Auge und Ohr, Stangen schlagen ans Holz und erzeugen überraschenderweise stumpfe Plopptöne, während Wynton Marsalis die Philharmonie rockt – sprich ausbläst, eine Liste der Jahrgänge finden Sie hier – neue bis alte Bekannte. (Es lässt sich kaum gendern: eine Männerdomäne, ja) Staunen macht: wie viele von da noch hier sind – oder von damals im Heute … und Deutschland seiner ganz eigenen Hystorie verfällt.