Ryan Keberles Collectiv do Brasil Considerando
Ryan Keberles Collectiv do Brasil Considerando
14.07.2023 Release
Considerando
Ryan Keberle – trombone, arrangements
Felipe Silveira – piano, arrangements for Tracks 2, 7 & 8
Felipe Brisola – bass
Paulinho Vicente – drums
„Was als Ryan Keberles glühende Liebesaffäre mit brasilianischer Musik begann, hat sich zu etwas viel Tieferem und Dauerhafterem entwickelt. Considerando, das zweite Album des Posaunisten mit dem in São Paulo ansässigen Collectiv do Brasil, bestätigt, dass es sich um eine einzigartige Beziehung handelt, die auf Dauer angelegt ist. Das Album, das am 14. Juli 2023 erschienen ist, bringt ein tiefes Eintauchen in das Liederbuch von Edu Lobo, dem geliebten und einflussreichen Komponisten, Gitarristen und Sänger, der mit seinen 79 Jahren immer noch aktiv ist und die Bossa Nova-Ära mit der Blütezeit der MPB (música popular brasileira) in den 1970er Jahren verbindet.„
– Website Ryan Keberle
Considerando
Ryan Keberle’s Collectiv do Brasil
Zähl mir spontan auf, wer alles Posaune spielt oder spielte: Albert Mangelsdorff, J.J. Johnson, Nils Wogram, Conny Bauer oder auch Lis Wessberg aus Dänemark und Annie Whitehead aus Groß Britannien – und ? Es kommen Curtis Fuller, Steve Turre, Robin Eubanks in Frage, hier hast du eine hunderter Liste, zuletzt upgedatet 2005 [digitaldreeamdoor.com – da ist Albert Mangelsdorff nicht gelistet (?) Fragezeichen] – best, the best, immer – und kein Mangelsdorff – kannst du doch vergessen, die Liste, nicht Mangelsdorff (!) – wie wäre es mit: frag nach Posaunistinnen – warte.
Ich will unbedingt wissen, was an der Posaune so fasziniert. Vom Klang her ist es ein eher zurückhaltendes Instrument, ein Hauch von Ton, ein singender. Ein Ton wie aus dem Off, ein Volumen wie aus der Ferne, und seit sie ihre Quarten, Quinten und Sekunden in dieses Gestänge hineinsingen und es Oberton nennen oder Multiphonie, also Multiphonics – wobei gesungener und gespielter Ton sich überlagern und bei absoluter Reinheit auch noch drei oder vier Töne hervorbringen, ja seitdem ist klar: die Posaune ist durch den Jazz noch einmal über sich hinausgewachsen.
Ein kaum vernehmbares Röcheln gepaart mit dem Signalton eines heranfahrenden Zugs, eine dynamische Bewegung rauf wie runter und breit gefächert, andere sprechen von Klangteppich, was so viel heißt wie Hintergrundmusik oder auch Rauschen, und alles, was sie dort reinlassen, lässt sich wiederverwenden, um den geölten oder eingefetteten Zug einzuträufeln, ein weicher Sound im Vergleich zu den Krachmachern aus der Blechbläser-Sektion, du hörst sie kaum, wenn du nicht hinhörst.
Es sei denn, man macht es explizit und exquisit. Hier. Eine Posaune, hör dir das an. Was hörst du? Nun. eine Posaune, unverkennbar – nah am Waldhorn – wird gern im Freejazz herangezogen, möglicherweise, weil eher zurückhaltend unauffällig und nicht so aufdringlich wie ein Saxophon oder die Geige.
Es fällt auf, die Listen wirken veraltet und J.J. Johnson kommt immer darin vor – aber auch: Karin Hammar über Sliding Hammers und Melba Liston oder Jennifer Wharton, ich konnte ausfindig machen: Abbie Conant, Angela Wellman, Gunhild Carling. Monique Buzzarte, Natalie Cressman auf Orchestramag.com.
Und aber oh, schon wieder: kein Albert Mangelsdorff auf der Liste von last.fm – hab ich etwas verpasst?
Es widmen sich Jazz-Apologeten in D-Land Albert Mangelsdorff und sprechen von Emanzipation des Jazz in D-Land, schon ist er von solchen Listen wegemanzipiert – Holy Trombone.
Wir haben viele neue Namen – nicht erst seit gestern – mit Ryan Kerberle entsteht zwar kein Mangelsdorffscher Oberton, trotzdem eine sehr interessante Stimme – er fiel mir letztes Jahr auf mit dem Album Sonhos da Esquina – eine eigenwillig verzerrte Perspektivzeichnung von Ktu Meza weist darauf hin, dass sich Blickweisen ändern oder spiegeln oder invertieren lassen – und jetzt das zweite Album in dieser Reihe – es steht alles in den Liner Notes:
… dass die Posaune die menschliche Stimme evozieren kann mit Weinen, Stöhnen, Ächzen wie ein Bluessänger.
… dass Ryan Keberle mit seinen brasilianischen Kollegen etwas anderes versucht: der Nostalgie um das Instrument Flügel verleihen.
… dass er seine Liebe für die komplexe brasilianische Musiktradition entdeckte und sie unbedingt durchdringen wollte mit seiner Posaune und dabei mehr und mehr von den musikalischen Fähigkeiten seiner brasilianischen Freunde infiziert wurde und in deren Musik ein- wie abtauchte.
Es entstand das Album Sonhos da Esquina:
„Die Erde streicheln / Die Wünsche der Erde kennen / Die Erde in der Hitze, die ideale Jahreszeit / Den Boden befruchten…“ – Milton Nascimento in „O Cio da Terra“ [“Caress the earth / Know the earth’s desires / the earth in heat, the ideal season / fertilize the ground…”]
… dass der brasilianischen Musik eine spirituelle Qualität innewohnt.
… dass Ryan Keberle, wie es zu Considerando heißt, die Zeit Anfang und Mitte der Siebziger Jahre liebt, wie sie eine Eruption all der kreativen Songwriter hervorbringt. Wie sich Folklore, Pop und Jazz in der Zeit annähern und durchdringen.
… dass er auch in Considerando die Posaune als Gesangsstimme versteht.
… dass dieses Album Edu Lobo gewidmet ist, jener treibenden Kraft aus Rio De Janeiro, die den Bossa Nova im Spiel von Paul Desmond maßgeblich prägte und noch mit Toots Thielemanns, Sarah Vaughan, Earth Wind & Fire und sogar Caterina Valente zusammenarbeitete.
Die beiden Alben gehen Hand in Hand und bezeugen eine Verbindung der Mitwirkenden, und das ist die gute Nachricht: es soll das keine zweimalige Sache bleiben, es soll sich fortsetzen.
Eine Posaune erhebt ihre Stimme, wird zum Gesang – wir können einmal mehr erstaunt feststellen, was in diesem von so wenigen Komponisten der Klassik ausgereizten Instrument alles steckt und wen dieses Instrument inspirierte und anregte (wiki Artikel zur Posaune).
Zu lesen ist: Bereits im 18. Jahrhundert hatten einige wenige bedeutende Komponisten die Posaune einbezogen; etabliert wurde sie von Mozart im Requiem (II.Sequentia: b. Tuba Mirum) und von Beethoven: Er besetzte sie erstmals im vierten Satz seiner 5. Sinfonie.
Zu lesen ist: Zu den wichtigsten Solokonzerten für Posaune zählen die in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Werke von Ferdinand David, Ernst Sachse und Friedrich August Belcke. Der überwiegende Teil der Sololiteratur für die Posaune entstammt jedoch dem 20. Jahrhundert, wie etwa die Sonate für Posaune und Klavier von Paul Hindemith.
Zu Lesen ist: In der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts behielt die Posaune ihre bedeutende Stellung im Sinfonieorchester und erhielt markante Passagen in Werken praktisch aller bedeutenden Komponisten dieser Epoche.
Die Posaune ist darüber hinaus aus dem Swing, Jazz, Salsa und Ska nicht mehr wegzudenken.
Gerade Jazz und Swing sind für die wohl größten spieltechnischen Entwicklungen seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts verantwortlich und brachten eine Vielzahl herausragender Jazz-Posaunisten hervor, in Deutschland vor allem Albert Mangelsdorff, Conny Bauer und Nils Wogram, in Großbritannien Chris Barber, in Schweden Nils Landgren, in den USA Musiker von Tommy Dorsey bis Glenn Miller, Kai Winding, und Don Lusher und eben Ryan Keberle.
Ryan Keberle hat sich als feste Größe der komponierenden Posaunisten etabliert. Die Einflüsse zwischen Jazz und klassischer Musik sind im Projekt Reverso – Beispiel : suite Ravel herausgearbeitet, das Terrain der Großformationen ist über Big Band Living Legacy Project und All Ears Orchestra hinreichend abgesteckt, mit Carthasis und seinem Double Quartet verbindet er Jazzimprovisation, Pop- und Rockkomposition.
Mit den beiden Aufnahmen Considerando und Sonos Da Esquina entsteht eine weitere Ebene im inzwischen sehr umfangreichen Werk von Ryan Keberle, der laut New York Times ein Spieler „mit Vision und Gelassenheit“ ist.
Eine Gelassenheit, die dem 1980 geborenen und von Chicago, Blood, Sweat & Tears, Tower of Power und Earth, Wind & Fire beeinflussten und von John Coltrane wie Dexter Gordon inspirierten Ryan Keberle so gar nicht anzumerken ist, er arbeitet offenbar an einer Anthologie der Posaune und lotet und schöpft nacheinander die Möglichkeiten dieses „singenden Instruments“ aus.
Das kann und darf uns nur recht sein.
Considerando
Ryan Keberle’s Collectiv do Brasil
2023
Sonhos da Esquina
Ryan Keberle’s Collectiv do Brasil
2022
Ryan Keberles Collectiv do Brasil
English Version
„What started as Ryan Keberle’s torrid love affair with Brazilian music has blossomed into something far deeper and more enduring. Considerando, the trombonist’s second album with the São Paulo-based Collectiv do Brasil, confirms that this is a singular relationship built to last. Released on July 14, 2023, it’s a deep dive into the songbook of Edu Lobo, the beloved and pervasively influential composer, guitarist and vocalist, still going strong at 79, who bridges the bossa nova-era with the 1970s flowering of MPB (música popular brasileira).“
Just list off the top of my head who plays or played the trombone: Albert Mangelsdorff, J.J. Johnson, Nils Wogram, Conny Bauer or Lis Wessberg from Denmark and Annie Whitehead from Great Britain – and ? Curtis Fuller, Steve Turre, Robin Eubanks come into question, here you have a list of hundreds, last updated 2005 [digitaldreeamdoor.com – there Albert Mangelsdorff is not listed (?) question mark] – best, the best, always – and no Mangelsdorff – you can forget the list, not Mangelsdorff (!) – how about: ask for female trombonists – wait.
I’m dying to know what’s so fascinating about the trombone. In terms of sound, it is a rather restrained instrument, a hint of tone, a singing tone, a tone as if from offstage, a volume as if from a distance, and since they sing their fourths, fifths and sevenths into this linkage and call it overtone, or multiphonics, that is, multiphonics – where the sung and played notes overlap and, with absolute purity, also produce three or four notes, yes, since then it has been clear: the trombone has once again outgrown itself through jazz.
A barely audible rattle paired with the beep of an approaching train, a dynamic movement up as well as down and broad, others speak of sound carpet, which means background music or even wafting noise, and everything they let in there can be reused to trickle down the oiled or greased train, a soft sound compared to the noisemakers from the brass section, you barely hear them if you don’t listen.
Unless you make it explicit and exquisite. Here. A trombone, listen to this. What do you hear? Well. a trombone, unmistakable – close to a French horn – is often called upon in free jazz, possibly because it’s more restrainedly unobtrusive and not as obtrusive as a saxophone or the violin.
It is noticeable, the lists seem outdated and J.J. Johnson always appears in them – and also: Karin Hammar about Sliding Hammers and Melba Liston or Jennifer Wharton, I could locate: Abbie Conant, Angela Wellman, Gunhild Carling. Monique Buzzarte, Natalie Cressman on Orchestramag.com.
And oh, again: no Albert Mangelsdorff on last.fm’s list – did I miss something?
Jazz apologists in D-Land dedicate themselves to Albert Mangelsdorff and talk about emancipation of jazz in D-Land, already he is emancipated from such lists – Holy Trombone.
We have a lot of new names – not just since yesterday – with Ryan Kerberle no Mangelsdorff overtone is created, but nevertheless a very interesting voice – he stood out last year with the album Sonhos da Esquina – an idiosyncratically distorted perspective drawing by Ktu Meza points out that views can be changed or mirrored or inverted – and now the second album in this series – it’s all in the liner notes:
That the trombone can evoke the human voice with weeping, moaning, groaning like a blues singer. That Ryan Keberle is trying something different with his Brazilian colleagues: giving wings to the nostalgia around the instrument. That he discovered his love for the complex Brazilian musical tradition and was determined to pervade it with his trombone, and in the process became more and more infected by the musical abilities of his Brazilian friends and immersed himself in their music.
The result was the album Sonhos da Esquina:
„Caressing the earth / Knowing the earth’s desires / The earth in the heat, the ideal season / Fertilizing the soil…“ – Milton Nascimento in „O Cio da Terra“ [„Caress the earth / Know the earth’s desires / the earth in heat, the ideal season / fertilize the ground…“]
That there is an inherent spiritual quality to Brazilian music.
That Ryan Keberle, as it is called Considerando, loves the period of the early and mid-seventies, how it brings an explosion of all the creative songwriters. How folk, pop and jazz converge and interpenetrate in the period. That even in Considerando he understands the trombone as a singing voice. That this album is dedicated to Edu Lobo, that driving force from Rio De Janeiro who decisively shaped the bossa nova in the playing of Paul Desmond and still worked with Toots Thielemanns, Sarah Vaughan, Earth Wind & Fire and even Caterina Valente.
The two albums merge hand in hand, testifying to a connection between the contributors, and that’s the good news: this is not to remain a two-time thing, it is to continue.
A trombone raises its voice, becomes a song – we can once again be amazed at what is contained in this instrument, which has been exhausted by so few composers of the classical period, and whom this instrument inspired and stimulated (wiki article on the trombone).
One can read: Already in the 18th century, a few important composers had included the trombone; it was established by Mozart in the Requiem (II.Sequentia: b. Tuba Mirum) and Beethoven: He played it for the first time in the fourth movement of his 5th Sinfonie.
The following can be read: Among the most important solo concertos for trombone are the works by Ferdinand David, Ernst Sachse and Friedrich August Belcke, written in the middle of the 19th century. However, the majority of solo literature for the trombone comes from the 20th century, such as the Sonata for Trombone and Piano by Paul Hindemith.
To read: In the classical music of the 20th century, the trombone retained its important position in the symphony orchestra and was given prominent passages in works by virtually all the major composers of the era.
Furthermore, it is impossible to imagine Swing, Jazz, Salsa and Ska without the trombone.
Jazz and swing in particular are responsible for probably the greatest developments in playing technique since the beginning of the 20th century and have produced a large number of outstanding jazz trombonists, in Germany above all Albert Mangelsdorff, Conny Bauer and Nils Wogram,, in Great Britain Chris Barber, in Sweden Nils Landgren, in the USA musicians from Tommy Dorsey to Glenn Miller, Kai Winding,, and Don Lusher and from now on Ryan Keberle.
Ryan Keberle has established himself as a fixture among composing trombonists. The influences between jazz and classical music have been worked out in the project Reverso – Example suite Ravel, the terrain of large formations has been sufficiently mapped out via Big Band Living Legacy Project and All Ears Orchestra, with Carthasis and his Double Quartet he combines jazz improvisation, pop and rock composition.
The two recordings Considerando and Sonos Da Esquina add another layer to the now extensive body of work of Ryan Keberle, who, according to the New York Times, is a player „of vision and serenity.“ A serenity that is not at all evident in Ryan Keberle, born in 1980 and influenced by Chicago, Blood, Sweat & Tears, Tower of Power, and Earth, Wind & Fire, and inspired by John Coltrane as well as Dexter Gordon, he is apparently working on an anthology of the trombone, exploring and exploiting one after another the possibilities of this „singing instrument“.
That can and must be only right for us.
Reverso – suite Ravel 2017
Find The Common, Shine A Light 2017
Ryan Keberles Collectiv do Brasil * Musicians Berlin