Es ist dies ein Artikel über den Nicht-Zustand von Musikkritik, dachte ich im Ohrensessel. Stell dir vor, du würdest Musikkritik praktizieren, dachte ich. Stell dir vor, wie viele unliebsame Stimmen du jeden Tag aushalten müsstest. Stell dir vor, die Kulturverzichter sind am Werk, dachte ich. Stell dir vor, niemand würde lesen, was er versteht. Stell dir vor, es bleibt wie es war. Die Musikkritik ist eine Sache gewesen von E.T.A Hoffmann bis George Bernhard Shaw, von Adorno bis Kaiser – von Dietrich Diederichsen ist hier nichts zu sehen.
Aber vom erwähnten Satiriker Georg Kreissler lesen wir, man brauche keine Ahnung von Musik zu haben, könne aber durch das Schreiben über Musik und Musiker einträgliches Geld verdienen. Nun, dachte ich im Ohrensessel, Geld verdienen mit Musikkritik, das war schon immer ein Witz oder Gerücht. Der gefürchtete Musikkritiker Paul Wittgenstein war Freund von Thomas Bernard – und entschied weniger durch Worte als durch Bravo- oder Buhrufe über Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Wiener Premiere – was ein Theater – deswegen es herbeigeschrieben werden muss – das Theater.
Der „Abgesang auf die Musikkritik“ äußert sich als Abgesang auf etwas, was es als Stimmbruch gab, als Paraphrase oder als dickes Buch, das unmissverständlich ausdrücken wollte, es kann nur einen geben, denMusikkritiker – den letzten Musikkritiker. Den, der weil er der letzte war, sich wunderte, dass noch einer kam, und noch einer und noch einer. Sie stellten fest: Die Musikkritik ist keine Musikkritik, sondern ein Anliegen. Eine Werbeveranstaltung. Ein Hinauszögern des eigenen Abgesangs. Ein Mitspielen. Ein Entgegenstellen. Ein Es Hinnehmen, es ist: Nachrichtenpulver. Schnee, der „von oben“ kommt, und erreicht den Status „mir doch egal“.
Lass uns den Himmel aufklaren und auf den Kopf stellen – Dem Satz Puja Patel, die das Portal seit mehr als fünf Jahren geleitet hatte, wurde mit der Mehrheit ihrer Redaktion entlassen folgt nicht etwa eine Hintergrundinfo, warum weswegen sie entlassen wurde (von der Mehrheit ihrer Redaktion so gewollt, hm), sondern ein vages wozu: die Vogue hat beschlossen, dass Musikkritik Männersache sei und verschiebt die Reste von Pitchfork ins Männermagazin GQ – aus den Augen aus dem Sinn – das habe ich trotzdem nicht verstanden, dachte ich im Ohrensessel – ist Pitchfork nun ein Online-Magazin oder nicht?
Daraus leitet der Welt-Artikel eine „Demütigung“ der Musikkritik ab – ganz schön dick – die Demütigung. Stell dir vor, deine Abteilung wird verschoben. Von X nach Ypsilon. Von der dritten in die vierte Etage oder von der fünften in die zweite. Im Netz dann von pitchfork.com nach pitchfork.com – sichtbar wird bestenfalls die für das Internet bekannte Ironie vom lachenden Dritten – nur wer ist diesmal lachender Dritter.
Nehmen wir mit: Während sich die Musikkritik veränderte: Im Vordergrund stand nicht mehr zwingend, wie der Kritiker das Album fand und Kritiker der klassischen Musik hatten es immer leichter als die Popkritiker und Frank Zappa: „Menschen, die nicht schreiben können, interviewen Menschen, die nicht sprechen können, um Artikel für Menschen zu schreiben, die nicht lesen können.“
Entscheidend wird wohl sein: Die Algorithmen des Musikkonsums verändern die Musik. Vor allem aber haben sie die Kritiker entmachtet mit ihren volkstümlichen Kategorien wie „Chillen“ und „Workout“, ihren demokratischen Bewertungstools und ihrer schieren Masse.
Vermutlich ist mit schierer Masse die algorithmische Zuspielung gemeint – es ließe sich auch auf die schiere Masse der Musikkritiken anwenden. Oder die schiere Masse an Neuerscheinungen – allein zum Thema Chillout oder Dreamliner oder zum Explosionsfreudigenallder Kracher, allder letzten Schreie – bis zum nächsten Tod eines Kritikers – es ist davon auszugehen: es hat im Verlag eine Richtungsentscheidung gegeben, und es steht allen von dort weichenden Redaktionen frei, ein eigenes Pitchfork aufzuziehen – denke das im Ohrensessel und zappe weiter.
This is an article about the non-state of music criticism, I thought in my wing chair. Imagine practising music criticism, I thought. Imagine how many unpleasant voices you would have to put up with every day. Imagine if the culture renouncers were at work, I thought. Imagine if nobody read what they understood. Imagine it stays the way it was. Music criticism has been a thing from E.T.A Hoffmann to George Bernhard Shaw, from Adorno to Kaiser – there’s no sign of Dietrich Diederichsen here.
But we read from the aforementioned satirist Georg Kreissler that you don’t need to know anything about music, but you can earn a lot of money writing about music and musicians. Well, I thought in my wing chair, earning money with music criticism has always been a joke or a rumour. The feared music critic Paul Wittgenstein was a friend of Thomas Bernard – and decided the success or failure of each Viennese premiere less by words than by bravos or boos – what a theatre – therefore it has to be written about – the theatre.
The „swan song to music criticism“ is expressed as a swan song to something that existed as a change of voice, as a paraphrase or as a thick book that wanted to express unmistakably that there can only be one, the music critic – the last music critic. The one who, because he was the last, was surprised that another one came along, and another and another. They realised that music criticism is not music criticism, but a cause. An advertising event. A delaying of one’s own swansong. A playing along. A confrontation. An acceptance, it is: News powder. Snow that comes „from above“ and reaches the status of „I don’t care“.
The sky mooed, but it didn’t calve. (Witold Gombrowicz)
Let’s clear the sky and turn it upside down – The sentence Puja Patel, who had headed the portal for more than five years, was sacked with the majority of her editorial team is not followed by a background info on why she was sacked (wanted by the majority of her editorial team, huh), but a vague what for: Vogue has decided that music criticism is a man’s business and is moving the remnants of Pitchfork to the men’s magazine GQ – out of sight out of mind – I still didn’t understand that, I thought in my wing chair – is Pitchfork an online magazine or not?
From this, the Welt article infers a „humiliation“ of music criticism – pretty thick – the humiliation. Imagine your department being moved. From X to Ypsilon. From the third to the fourth floor or from the fifth to the second. On the web, from pitchfork.com to pitchfork.com – at best, the familiar Internet irony of the laughing third party becomes visible – but who is the laughing third party this time?
Let’s go with it: While music criticism changed: The focus was no longer necessarily on what the critic thought of the album and classical music critics always had it easier than pop critics and Frank Zappa: „People who can’t write interview people who can’t speak to write articles for people who can’t read.“
The decisive factor will probably be The algorithms of music consumption are changing music. Above all, however, they have disempowered critics with their popular categories such as „chill“ and „workout“, their democratic evaluation tools and their sheer mass.
Presumably, sheer mass refers to the algorithmic feed – it could also be applied to the sheer mass of music reviews. Or the sheer mass of new releases – just on the subject of Chillout or Dreamliner or the explosive nature of all the smash hits, all the last screams – until the next death of a critic – it can be assumed: there has been a directional decision in the publishing house, and all the editorial offices moving away from there are free to set up their own Pitchfork – think about it in your wing chair and zap on.
John Zorn Filmworks I-VI: Erstkontakt John Zorn Spillane über Rezension in der Frankfurter Rundschau 1987. Ein Meisterwerk. Für Abwechslung, Dramaturgie, Reichtum an Kollagen und Brüchen sowohl im Tempo als auch in Melodieführung mit Bill Frisell, Albert Collins, John Lurie als sonore Erzählerstimme mit allem, was John Zorn über die Jahre auszeichnen sollte – postmodern ja, auch schon dekonstruktivistisch, ja, vor allem aber: ein Gesamtkunstwerk unübertroffen
Es ist die mitreißende Aufnahme von Jason Moran From the Dancehall to the Battlefield, es ist die erzählerische Aufnahme von Matana Roberts Coin Coin Chapter Five: in the garden … es folgt in seiner Komplexität Steve Lehmans Ex Machina – als Widergang zum Horror, der von der IT inzwischen ausgeht.
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