Clemens Kuratle : Ydivide – Default

release 24.01.2025
Dee Byrne – alto
Chris Guilfoyle – guitar
Elliot Galvin – piano and electronics
Lukas Traxel – double bass
Clemens Kuratle – drums, electronics
Label: Intakt Records
clemenskuratle.com

„Clemens Kuratle und Ydivide verfügen über außergewöhnliche musikalische und technische Fähigkeiten und haben im Laufe der Jahre ihre ganz eigene musikalische Sprache entwickelt. Ydivide hat etwas zu sagen: Die Musik ist getrieben von den drängenden Fragen und Konflikten, denen sich diese und die nächste Generation stellen muss.“

Wer kaum mehr ein Interesse hat auf Große Worte + Nichts dahinter oder Schaumschlagen können viele oder was derzeit politisch gesellschaftlich angesagt ist mit seiner Engstirnigkeit – sucht in der Musik nicht selten Fluchtposten oder Rückzugsorte – das aber gelingt erst, wenn sonst keine Gefahr droht, denn jeder Rückzug trägt auch Resignatives oder Selbstbezügliches in sich, etwas von Abgeschiedenheit und Außenvorstehen – wer Abstand gewinnen will vom rufenden großen Wind um all dies Nichts, findet in der Musik häufig eine Gegenstille oder einen Gegenlärm, eine Selbstbestimmung durch Töne und weniger Worte.

Wenn dem nicht wieder die großen Worte folgen.

Nicht nur die Vergleichsgrößen Wort und Ton stehen sich gegenüber oder Pate, im Fall der musikalischen Darbietungen von Clemens Kuratle unter Murmollo dort oder Ydivide hier haben wir weitere Gegenüberstellungen, hier: die beiden Ydivide Aufnahmen Lumumba und Default. Lumumba erschien 2022 und wirkt im Vergleich zu Default, aufgenommen im Januar 2024 und im Anfang des Jahres 2025 erschienen, noch wie ein Spielfeld für verschiedene Assoziationsräume und Strömungen, Linien, Brüche – in Default nun ist vieles an sich ausbreitender Räumlichkeit zu verspüren und ein Umkreisen der Formen in der Musik.

Default, aus der Computer Typologie übernommen, heißt zum einen: auf einen ursprünglichen gemeinsamen Standard zurückstellen – das Default Bios, die Standardeinstellungen, aber auch, im übertragenen Sinn: das Versäumnis, oder: im Verzug sein – wir entscheiden uns weder für Nichterfüllung, noch für das Versäumnis, selbst das Austarieren der Standards scheint es nicht zu treffen, im Gegenteil:

Das Album Default geht weit über Standardeinstellungen hinaus und liefert statt Versäumnissen reizende wie spannende Spieloptionen, liefert mehr als es versäumt, bringt die Musik so sehr vor das Wort, dass alles, was spricht, sich ein Beispiel nehmen könnte – wo sich vieles um ein quasi imaginiertes Feld um Standards herum zu bewegen scheint, weiten sie auf der Aufnahme das eigene in Lumumba vermessene Feld auf und beziehen Stellung: mit Kompositionen, in denen die verschiedenen Stimmen interagieren und im Austausch bleiben – es entsteht im Verlauf der Aufnahme das Gefühl, dass es sich hier ganz im Widersinn zum Default als Grundeinstellung um einen großen Wurf handelt, quasi ein above over all of defaults.

Das betrifft Kompositionen wie Ausdrucksformen und Ausführungen gleichermaßen.

Selten intensive Interaktion in einem dichten Gebilde. Selten starkes Umkreisen und Abstimmen und aufeinander Zugehen. Selten kommunikatives Material, das sich organisch verwandelt.

Starke Ausdrucksformen gepaart mit dynamischem Wechselspiel – was willst du mehr – außer vielleicht: könnten auch die, die weltweit ihr Sprechwerkzeug nutzen, anderen das Sprechen zu verwehren, das auch hören und verstehen: wie aus einem Umeinander herum ein Zueinander hin entsteht.

Wie Musik zur Kunst kommt – nimm das Stück Deine Wärme, wie ruhig es im Wechsel von Gitarre und Piano beginnt, im Feldteppich landschaftsbetrachtend oder versunken, kurz ruckt das Schlagzeug dazwischen, es wird kraftvoller, vorsichtig kommt das Saxophon hinzu – schließlich gewinnt es an Intensität und Volumen, das Saxophon steigert sich, schon haben wir ein ganz anderes Bild als das des Default.

Die Zurückhaltung wirkt inzwischen wie aufgedreht – das setzt sich fort in For E.S. Und in Highway : Scheinbar einfache Melodien oder Linien werden auf eigene Weise umgestaltet und vorangetrieben – du weißt nicht: wen zuerst dafür hervorheben – das Saxophon, die Gitarre, den Bass, das Schlagzeug, das Piano?

Es ist das gemeinsame Zusammenwirken – da alles fließt und sich wie selbstverständlich weiterentwickelt : eben nicht zu einem Gebrauchszustand des größten gemeinsamen Nenners hin, sondern aus ihm heraus und mitreißend in seiner Volte und seiner Dringlichkeit, ohne Scheu vor der großen Geste: jedesmal wenn Roy Wood Jr, das melodische Abschiedsstück ertönt, heißt es: gleich alles noch einmal von vorn.

Das zeichnet die Aufnahme aus: du willst sie nicht mehr missen.

oder wie Clemens Kuratle es unlängst selbst sagte: ‘das Ergebnis dieses Prozesses ist eine Musik, die von Dringlichkeit und Empathie durchdrungen ist und die Komplexität der modernen Welt umarmt.

Mit den besten Empfehlungen!

Clemens Kuratle : Ydivide – Default

Clemens Kuratle and Ydivide have extraordinary musical and technical skills and have developed their very own musical language over the years. Ydivide has something to say: the music is driven by the urgent questions and conflicts that this generation, and the next, have to face.

Those who hardly feel any interest in big words + nothing behind them or the frothing at the mouth of many or what is currently politically fashionable in society with its narrow-mindedness – often seek refuge or retreats in music – but this only succeeds if there is no other danger, because every retreat also carries resignation or self-reference, something of isolation and being on the outside – those who want to gain distance from the great wind shouting around all this nothingness often find a counter-silence or a counter-noise in music, a self-determination through sounds and fewer words.

If this is not followed by big words again.

It is not only the comparative values of words and sound that are juxtaposed or serve as godfathers, in the case of the musical performances by Clemens Kuratle under Murmollo there or Ydivide here we have further comparisons, here: The two Ydivide recordings Lumumba and Default. Lumumba was released in 2022 and, compared to Default, recorded in January 2024 and released at the beginning of 2025, still seems like a playing field for different associative spaces and currents, lines, breaks – in Default there is now a lot of spreading spatiality to be felt and a circling of forms in the music.

Default, taken from computer typology, means on the one hand: to reset to an original common standard – the default bios, the standard settings, but also, in a figurative sense: the omission, or: to be in default – we decide neither for non-fulfillment, nor for omission, even the balancing of standards does not seem to hit it, on the contrary:

The album Default goes far beyond standard settings and delivers delightful as well as exciting playing options instead of omissions, delivers more than it misses, brings the music so much before the word that everyone who speaks could take an example – where much seems to move around a quasi-imagined field around standards, on the recording they widen their own field surveyed in Lumumba and take a stand: with compositions in which the different voices interact and remain in exchange – in the course of the recording, the feeling arises that, quite contrary to the default as a basic setting, this is a big hit, an above all of the defaults, so to speak.

This applies equally to compositions, forms of expression and performances.

Rarely intensive interaction in a dense structure. Rarely strong circling and coordination and approaching each other. Rarely communicative material that transforms organically.

Strong forms of expression paired with dynamic interplay – what more could you want – except perhaps: could those who use their speaking tools worldwide to prevent others from speaking also hear and understand this: How being around each other leads to being with each other.

How music becomes art – take the piece Deine Wärme, how quietly it begins with alternating guitar and piano, contemplating the landscape or immersed in a carpet of fields, the drums jolt briefly in between, it becomes more powerful, the saxophone carefully joins in – finally it gains intensity and volume, the saxophone increases, and we have a completely different picture to that of Default.

The restraint now seems to be turned up – this continues in For E.S. And in Highway: seemingly simple melodies or lines are reshaped and driven forward in their own way – you don’t know: who to emphasize first – the saxophone, the guitar, the bass, the drums, the piano?

It is the joint interaction – because everything flows and develops as a matter of course: not towards a state of use of the greatest common denominator, but out of it and rousing in its volatility and urgency, without shying away from the grand gesture: every time Roy Wood Jr. plays the melodic farewell piece, it’s like: all over again.

That’s what characterizes this recording: you don’t want to miss it anymore.

Or as Clemens Kuratle himself recently put it:
‚the result of this process is music that is imbued with urgency and empathy and embraces the complexity of the modern world.

With the best recommendations!